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Von Mailand nach Bonn

Regisseur Mark Daniel Hirsch im Interview

 

DON CARLO gilt gemeinhin als düsterste Oper Verdis. Warum wollten Sie gerade dieses Werk inszenieren?
Mark Daniel Hirsch: Ich habe meine professionelle Laufbahn an der Mailander Scala mit DON CARLO begonnen: Am 4. Dezember 1978 bekam ich eine Liste mit 250 Namen und wurde gebeten, an der „Strada“-Seite der Bühne (in Deutschland: rechts) zu kontrollieren, ob alle Baldachinträger, Soldaten, Ketzer, Volk usw. da waren. In Italien gab es damals die Regel, dass die Statisten nur rechtzeitig für ihre Bühnenauftritte kommen mussten. Es war für mich
ein einzigartiges Chaos mitten in dieser wunderbaren Musik, in diesem besonderen Theater mit seinem besonderen Publikum und mit der unglaublich tollen Besetzung unter der Leitung von Claudio Abbado. Die Oper war lang, aber immer spannend. Als ich später nach Deutschland kam, war auch DON CARLO das erste Stück, an dem ich gearbeitet habe. Also hat mich diese Oper mein ganzes Berufsleben begleitet.


DON CARLO ist die von Verdi am häufigsten nachbearbeitete Oper. Warum war Verdi wohl nie zufrieden?
MDH: Wer sagt, dass Verdi nie zufrieden war? Schon bei der Premiere musste Verdi das Stück kürzen, damit die Pariser den letzten Vorortzug erreichen konnten. In Bonn gibt es zum
Glück Nachtbusse. Am 24. Februar 1867 dauerte DON CARLO 3 Stunden und 47 Minuten – somit 17 Minuten länger als Meyerbeers L’AFRICAINE. Wirklich überarbeitet hat Verdi DON CARLO, wie bei MACBETH und SIMONE BOCCANEGRA, nur einmal, 1883, und dabei den
„französichen Akt“ gestrichen – vielleicht, weil er nicht in Schillers Don Karlos vorkam. Später hat er bemerkt, dass etwas fehlte: die Geschichte der Liebe zwischen Carlo und Elisabetta. So hat er in der sogenannten „Modena-Fassung“ den ersten Akt wieder hinzugefügt. Der
italienische Dirigent Claudio Abbado und andere behaupteten, dass es die beste
Fassung ist; und ich meine das auch.

Hier, am Theater Bonn, wird der Fontainebleau-Akt, der „französische Akt“, ebenfalls Teil der Inszenierung sein. Warum ist dieser Akt wichtig für das Werk?
MDH: Die Geschichte, die in diesem Akt erzählt wird, hilft dem Publikum, alles, was danach kommt, besser zu verstehen. Es ist wichtig zu wissen, dass Elisabetta von Anfang an Carlos Liebe erwidert und dass Carlo auch eine liebevolle, sehr positive Seite hat – später ist er in seiner Leidenschaft fast immer melancholisch.

Wie inszeniert man heutzutage ein Autodafé?
MDH: Ein Autodafé kann man nur historisch zeigen beziehungsweise andeuten. Verdi hatte einen Kupferstich von Frans Hogenberg vor Augen, in dem die „öffentliche Verbrennung“ fast ein Volksfest war. Auf jeden Fall ist die Hetzerei gegen Menschen, die anders sind, noch immer sehr aktuell!

Welche Figur liegt Ihnen besonders am Herzen?
MDH: Als ich 1978 zum ersten Mal an DON CARLO arbeitete, war Carlo selbst mir nah, aber jetzt liebe ich alle Figuren im Stück, vielleicht berühren mich Elisabetta mit „Tu che le vanità“ und Filippo mit „Ella giammai m’amò“ am meisten.


Welchen Fokus legen Sie in Ihrer Inszenierung?
MDH: Der Tod ist durchgehend Thema in der Musik und im Libretto, vielleicht weil der erste Librettist Joseph Méry das Libretto neun Monate vor der Premiere fast vollendete und dann nach langer Krankheit starb. Aber das ist nur eine Hintergrundstimmung. Die Inszenierung versucht, mit Klarheit eine Geschichte zu erzählen und dabei ein paar Lücken und Unklarheiten zu schließen und die Figuren mit einer gewissen Tiefe zu portraitieren. Mehr möchte ich hier nicht verraten.

An welche Inszenierung Ihrer Zeit am Theater Bonn erinnern Sie sich besonders gut?
Mit welchem Regisseur oder Regisseurin haben Sie am liebsten zusammengearbeitet?

MDH: An meine eigenen Inszenierungen natürlich! Am besten gefielen mir RUSALKA, MADAMA BUTTERFLY, INFINITO NERO und APOLLO UND HYCIANTH von Mozart. Sonst habe ich sehr gerne mit Silviu Purcarete und Leo Muscato gearbeitet, auch mit Laura Scozzi und vielen anderen. Ich freue mich immer, wenn ich mit Regisseuren Italienisch reden kann, und ich liebe das italienische Repertoire.


Worauf freuen Sie sich am meisten in Ihrer bald beginnenden theaterfreien Zeit?
MDH: Ob ich mich wirklich über die theaterfreie Zeit freue? Wenn man einmal mit dem Theatervirus angesteckt wurde, ist es schwer, komplett aufzuhören. Am liebsten würde ich weiter inszenieren und wie Molière auf der Bühne sterben. Die eineinhalb Jahre theaterfreie
Zeit während des Lockdowns haben mir gereicht!


Das Interview führte Maximilian Hülshoff.