Unsere Welt neu denken
Das Schauspielhaus eröffnet die neue Spielzeit mit einer Uraufführung
Die Transformationsforscherin Maja Göpel hat mit UNSERE WELT NEU DENKEN - EINE EINLADUNG einen Bestseller geschrieben, den Hausregisseur Simon Solberg zur Spielzeiteröffnung auf die Bühne des Schauspielhauses bringt. Maja Göpel beschreibt die Kipp-Punkte, an denen unsere Welt in Umwelt- und Gesellschaftsfragen steht, welche Denkmodelle uns dorthin geführt haben und wie wir diese abstreifen können. Im Interview erzählt Simon Solberg von seiner Idee eines Open-Source-Theater-Labors und seiner Hoffnung in den Transformationsprozess.
Wie setzen Sie UNSERE WELT NEU DENKEN, das ja ein Sachbuch ist, auf der Bühne um? Nach einer langen Phase der Recherche haben wir uns dazu entschieden, vier Schauspielerinnen und Schauspieler als Forschungsteam in einem Open-Source-Theater-Labor auf eine Art Zeitreise zu schicken. Indem sie versuchen, in unserer Historie den Ursprung der Ideen unseres auf Wachstum basierenden Gesellschaftsmodells zu finden, erforschen sie spielerisch die Themenfelder des Buches und ergründen, wie wir unsere Welt vor der Klimakrise und der immer größer werdenden sozialen Ungerechtigkeit retten können. Unterstützt werden sie dabei von einer dreiköpfigen Band, die sie auf der Odyssee durch die musikalischen Welten der letzten 250 Jahre begleitet.
Können Sie erklären, was genau Ihr Open-Source-Theater-Labor ist?
Die Idee des Theater-Labors greift den Aspekt der EINLADUNG des Buchs auf, indem es das Publikum einlädt, Wege zu erforschen, unsere Zukunft neu zu gestalten. Ganz konkret erfolgt dies durch die Möglichkeit, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer im Verlaufe des Abends immer wieder darüber entscheiden können, was auf der Bühne als nächstes geschieht, welches Thema näher betrachtet, welche Idee verfolgt wird. Die Themen, aus denen gewählt werden kann, sind eine Open-Source, ein Material-Pool, der aus einem Netzwerk aus kreativen Theaterschaffenden aus dem deutschsprachigen Raum erarbeitet und allen beteiligten Kulturinstitutionen zur Verfügung gestellt wird, sodass auch an anderen Orten Veranstaltungen zu dem Buch stattfinden können. Das alles ist ein groß angelegter Versuch, künstlerische Zusammenarbeit und Vernetzung neu zu denken, um den öffentlichen Diskurs zur Transformation unserer Gesellschaft aktiv mitzugestalten.
Welche Rolle spielt jede und jeder Einzelne in diesem Transformationsprozess?
Ein witziges Element des Abends ist die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Ich erachte es als elementar, als Gesellschaft die längst überfälligen politischen Reformen einzufordern, aber auch selbst mit anzuschieben. Wir wollen uns in Imagineurinnen und Imagineuren einer erfüllenden Zukunft verwandeln und uns allen die Verantwortung und Möglichkeiten einer Selbstermächtigung bewusst machen. Jede und jeder Einzelne zählt, egal wie klein oder groß der Beitrag ist. Die Hauptsache ist, dass wir mutig sind, unsere Stimme zu erheben – gemeinsam – denn nur dann kann und wird sie gehört werden.
Welchen Beitrag kann die Kunst zur Transformation der Gesellschaft leisten und inwiefern können auch die Prozesse einer Theaterproduktion nachhaltig gestaltet werden?
Ich denke, unsere Aufgabe als Künstlerinnen und Künstler kann es sein, über die Geschichten, die wir erzählen, das Wissen der Forschung emotional erfahrbar zu machen und dabei Visionen einer Zukunft zu entwerfen, auf die man in freudiger Erwartung zusteuert und bei deren Verwirklichung man dabei sein möchte. Auf die Suche, die Prozesse nachhaltig zu gestalten, begeben wir uns gerade nicht nur für diese Produktion, sondern auch für das Theater als Ganzes. Konkret versuchen wir, das Bühnenbild sowie das Kostümbild so nachhaltig und ressourcenschonend wie möglich herzustellen. Wir haben den Theaterfundus nach Kostümteilen und Requisiten durchforstet, und auch das Bühnenbild besteht aus Materialien, die bereits in den Werkstätten des Theaters vorhanden waren. All das wird neu zusammengesetzt und bleibt somit im künstlerischen Verwertungskreislauf. Außerdem wollen wir die CO2-Bilanz unserer Theaterproduktion auswerten, um auch Ausblicke auf folgende Produktionen geben zu können, wie und an welcher Stelle wir nachhaltiger Theater machen können.
Was macht Ihnen Mut, dass der Transformationsprozess zu einem guten Ende führt?
Zu wissen, dass wir viele sind, die in einer gerechteren Welt leben wollen. Manchmal weiß man vielleicht nicht so ganz, wo man beginnen soll, oder man hat das Gefühl, ohnmächtig zu sein. Aber da hilft einem, finde ich, der Blick um sich herum, auf die vielen Menschen, die sich bereits auf den Weg gemacht haben. Deshalb wollen wir im Rahmen der Vorstellungen konkrete Projekte aus Bonn und Umgebung, aber auch aus den Regionen der anderen beteiligten Theater, vorstellen, die sich mit den Themen Nachhaltigkeit, gesellschaftlicher Wandel und Modellen eines neuen Zusammenlebens beschäftigen, um zu zeigen, dass man nicht allein ist, sondern dass es viele Gleichgesinnte da draußen gibt.
Das Interview führte Jan Pfannenstiel.