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Hesse und die heutigen Schüler

Interview mit Frederic Röhr, Produktionsleiter und Regieassistent der Produktion
UNTERM RAD

Frederic Röhr ist Jahrespraktikant der Theaterpädagogik und kam über JUGEND OHNE GOTT, das Vorläuferprojekt von UNTERM RAD, an das Theater. Regisseur Dominic Friedel gewann Röhr als Regieassistenten und Produktionsleiter für das neue Projekt, der sich um alle koordinatorischen Angelegenheiten kümmert.

Als inhaltliche Grundlage für das Theaterstück dient Hermann Hesses UNTERM RAD. Was ist kurz gesagt der Grundgedanke des Romans?
Hermann Hesse schreibt über den Schüler Hans Giebenrath, der ständig hört, dass er etwas Besonderes wäre. Er müsse alles packen und der Beste sein. Dann wird er weitergedrängt, bis er in das Seminar in der Klosterschule kommt. Dort wird ihm auch ebenfalls gesagt: „Du musst weiterarbeiten, sonst schaffst du es nicht, sonst kommst du unters Rad.“ Irgendwann begegnet er Hermann Heilner. Hermann ist das Gegenteil von Hans. Er ist eher ein Künstler. Er ist überhaupt nicht gestresst, dennoch hat er ebenfalls sehr depressive Phasen. Sie freunden sich an, und Hans merkt, dass noch etwas Anderes existiert, als immer nur zu lernen. Das Problem ist, dadurch sinken seine Noten stark ab. Das merken die Lehrer und setzen ihn noch weiter unter Druck. Irgendwann kommt es, wie es kommen muss: Hans kann nicht mehr. Er bricht zusammen und geht wieder nach Hause zurück, wo es ihm jedoch auch nicht gut geht. Man muss sich das vorstellen: Wenn Du den ganzen Tag nur gesagt bekommst, dass du der Beste bist und jetzt ackern musst und plötzlich bist du Zuhause und hast versagt. Das ist nicht schön. Du bist nirgendswo Zuhause. Dann beginnt er eine Handwerkerlehre, auf die er sich irgendwann einlässt. Eines Tages geht Hans mit Freunden in einer Kneipe feiern und betrunken alleine nach Hause. Am nächsten Tag wird er tot in einem Fluss aufgefunden. Es ist nicht klar, ob er sich umgebracht hat oder ob er nur gestolpert ist. 

Der Roman dient als Grundlage. Welcher Gedanke ist zentral für die Stück-Fassung?
Hauptsächlich wurden Fragmente überhaupt erst herausgenommen. Es wurde Vieles aus dem Roman gestrichen. Es geht vor allem darum, dass wir die Schüler mit ihren Problemen ins Licht setzen. Wer kümmert sich noch um die Schüler? Was sind deren eigentliche Sorgen? Das ist der Punkt, den Dominic [Friedel, Anm. d. Red.] versucht zu präsentieren. 

UNTERM RAD ist ein partizipatives Projekt. Welche Rolle haben die Jugendlichen bei der Erarbeitung der Fassung eingenommen? Wie hat sich eure Fassung herauskristallisiert? 
Man muss dazu sagen, dass wir mit der Fassung noch nicht fertig sind. Wir arbeiten gerade noch daran. [Das Interview fand zur Zeit der Proben statt, Anm. d. Red.] Sprich: Alles, was man jetzt erzählt, ist vorläufig. Es kann sich noch viel verändern. Doch im Endeffekt sollen die Jugendlichen eine sehr große Rolle spielen. Viele ihrer eigenen Texte werden mit in die Fassung kommen. Die Handlung des Romans von Hermann Hesse soll bestehen bleiben, aber alles andere soll mit den Gedanken und Gefühlen der Schüler aufgeführt werden.

Gab es konkrete Vorschläge von den Jugendlichen?
Nein, wir arbeiten anders. Die Texte, die die Jugendlichen geschrieben haben, sollten niemals so geschrieben sein, wie Hesses Texte. Das ist überhaupt nicht die Idee gewesen, sondern wir haben sie angeleitet, in gewisse Themenbereiche geführt. Dort haben wir sie frei schreiben lassen. Wir haben sie nicht an Stücke denken lassen, sondern wirklich an das, was sie jetzt gerade fühlen. Dort haben wir uns dann viele Texte ausgesucht, die wir total klasse fanden und sie mit hineingenommen.

Was war dein erster Eindruck von der Gruppe?
Es ist ein bisschen anders gewesen. Bei JUGEND OHNE GOTT waren wir direkt in einem Raum zusammen, und bei dieser Gruppe war alles digital. Regiemäßig eröffnet das deutliche Möglichkeiten, weil es etwas Neues und Unbekanntes ist, aber es ist ein ganz anderes Gefühl in der Gruppe. Ich finde erst einmal, dass es total interessante Menschen sind, die wirklich viel zu erzählen haben. Es ist sehr eindrucksvoll, weil viele noch jung sind. Ich denke da an Zehnjährige, die zum Teil Sätze und Texte raushauen, wo ich denke: meine Herren! Beeindruckend, wirklich! Ich bin mal gespannt, was rauskommt. Ich bin davon überzeugt, dass es richtig gut wird. 

Welche Situation ist Dir in der Arbeit mit den Jugendlichen in dem bisherigen Workshop- und Probenverlauf am meisten im Gedächtnis geblieben?  
Es ist tatsächlich auf Zoom passiert. Ich glaube, Christian [gemeint ist Ensemblemitglied Christian Czeremnych, Anm. d. Red.] hat angefangen, einen Text vorzulesen, indem Hans an den Fluss geht und angelt. Es ist eigentlich der einzige Ort, wo er sich wohlfühlt. Es war ein ganz starkes Bild, dass neun Jugendliche in ihrem Zimmer saßen und sich erst während des Textes eine Angel gebastelt haben. Als der Text vorbei war, waren alle noch fünf Minuten ruhig, aber total beschäftigt. Du guckst auf dieses Bild und hast diese Ruhe gefühlt. Einfach nur, weil neun Menschen im Bild sitzen, mit einem Stock mit einer Socke dran und irgendwo in ihrem Zimmer „angeln“. Das ist total banal, aber es ist total genial.

Was war in den bisherigen Entwicklungsprozessen und Proben überraschend oder besonders schön?
Ich bin immer noch überrascht davon, dass man es über Zoom schafft, ohne die Menschen jemals in Präsenz gesehen zu haben, ein Gruppengefühl aufzubauen. Es ist Stück für Stück entstanden. Darüber bin ich verdammt glücklich.

Aufgrund der aktuellen Situation muss die Premiere online stattfinden. Zum Teil werden dafür Teile vorgedreht und zum Teil werden sie live an den Abenden gespielt. Was ist daran die größte Herausforderung?
Die größte Herausforderung, neben den textlichen Sachen, ist für uns die technische. Gerade, weil wir vordrehen müssen. Wir müssen mit verschiedenen Programmen arbeiten, um gleichzeitig sowohl live von Zoom als auch das Vorproduzierte parallel einspeisen zu können. Das ist ein riesiger technischer Albtraum.

Ist die Herangehensweise an eine Online-Premiere anders? 
Die Organisation ist anders. Inhaltlich, würde ich fast behaupten, nicht. Da arbeitet man ziemlich gleich. Organisatorisch müssen wir drei Wochen vor der Premiere einen Plan haben, was wir machen, damit wir die Sachen abgedreht bekommen. 

Bei der Produktion werden auch Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Ensemble mitspielen. Wie gestaltet sich der Umgang und das Spielen zwischen Jugendlichen und Ensemblemitgliedern, da zum Teil auch ein großer Altersunterschied vorliegt?
Ja, aber das merkt man gar nicht. Sie fügen sich total schön ein. Es ist eigentlich eine große, lebendige Gruppe. Natürlich, an manchen Punkten gibt es einen Bruch, aber eher daher, dass die Schauspieler die Jugendlichen noch mit anleiten, unterstützen, Energie und Vorschläge geben, was sie tun können.

Welchen Anreiz gibt es die Produktion zu sehen?
Weil es unglaublich schön ist zu sehen, was aus jungen Menschen geworden ist, nachdem sie sich so intensiv mit diesem Roman auseinandergesetzt haben. Auch, damit wir einen Blick dafür bekommen, was die jungen Menschen derzeit wirklich fühlen und wie es ihnen wirklich geht.

Wenn du die Produktion in drei Wörtern beschreiben müsstest, welche wären das?
Jugend, Schule… Leistungsdruck?

Vielen Dank.
Das Gespräch führte Lea Balster während der Proben im Mai 2021