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Ce Mariage n'aura pas lieu

Diese Hochzeit darf nicht sein!

Wie selbstverständlich für den selbsternannten modernen Europäer das Übertreten von Grenzen mittlerweile ist, zeigte sich in den vergangenen Monaten am deutlichsten beim Schließen eben dieser. Die erreichte und erkämpfte, mittlerweile aber auch selbstverständliche Freizügigkeit in Europa, die Landesgrenzen innerhalb einer Siedlung oder einer Stadt quasi nicht-existent machte und das spontane Einkaufen in Frankreich oder den Niederlanden, das Zigaretten kaufen in Polen oder das Tanken in Luxemburg zum Alltäglichen werden ließ, wurde durch grenzschließende Maßnahmen zur Eindämmung eines Virus jäh gestoppt. Nachbarn durften sich nicht mehr besuchen, das Erreichen eines Arbeitsplatzes wurde erschwert, Liebende konnten sich nicht mehr sehen. Besonders deutlich wurde dies an der Grenze von Deutschland zur Schweiz, genauer gesagt an der Grenze von Konstanz zu Kreuzlingen. Dort standen Bauzäune, um die Menschen davon abzuhalten, sich zu treffen. Weil man aber durch diese Art der Zäune noch direkten Kontakt pflegen konnte, wurde alsbald ein zweiter Zaun parallel installiert, der eine Art Grenzstreifen zwischenmenschlicher Gefühle entstehen ließ.
Das Stück LEONORE 40/45, komponiert von Rolf Liebermann, Libretto von Heinrich Strobel, behandelt in mehrfacher Hinsicht solche Grenzübertritte. Liebermann wollte unbedingt ein zeitgenössisches Sujet auf die Bühne bringen, auch, um die Zuschauer vom Kino in die Oper zurückzuholen – ein Vorhaben, das die momentane Krise des Kinos in Bezug auf allgegenwärtige Streaming-Portale seltsam vertraut erscheinen lässt. Dieses würde, laut Liebermann, aber nur gelingen, „...wenn man der Oper ein Thema gibt, das die Leute angeht, das unsere Zeit berührt und das im direkten Kontakt mit der Erlebniswelt unserer Zeit steht.“ So schuf er ein Werk, das von der Liebe des deutschen Soldaten Albert, einem Oboisten, zur französischen Pianistin Yvette, die sich während der Besatzung Frankreichs in Paris kennen- und lieben lernen, handelt. Die Uraufführung 1952 in Basel war ein voller Erfolg; außerhalb der Schweiz das Werk jedoch ein Desaster bei jeder Vorstellung. Die Provokation, die eine Liebesbeziehung zwischen einem Deutschen und einer Französin so kurz nach Kriegsende im Publikum immer wieder hervorrief, war eine direkte Bestätigung für Liebermann und Strobel. Beide waren sich des provokanten Themas durchaus bewusst, hätten sich doch „kollaborationistische Komplikationen“ ergeben können. Dass es 1952 mitten in Berlin nach der Premiere von LEONORE 40/45 zu einer Art „kollektiven Hysterie“ gekommen sei, ist in der ehemaligen Herzkammer von Nazi-Deutschland auch nichts Verwunderliches. Allein schon das Libretto muss für viele zeitgenössische Opernbesucher ein Affront gewesen sein, war es doch zweisprachig angelegt.
Wie konnte Strobel nur! Der renommierte schweizerische Musikwissenschaftler und mittlerweile emeritierte Professor Jürg Stenzl ordnet die Umstände der damaligen Provokation in einen aktuellen zeitgenössischen Kontext:
„Für uns EU-Bürger ist doch – hoffentlich – eine einigermaßen gegenwärtige, reale, vor allem eine grenzüberschreitende Liebesgeschichte keine Provokation mehr, zudem sind alle Figuren, der Engel eingeschlossen, ja weisshäutig...“ Wer würde denn schon etwas Anderes verurteilen? Sich für weltoffen und grenzenlos zu halten, ist dann doch auch irgendwie bequemer.

 

Text: Maximilian Hülshoff