»Was, alle blind?«

Als Donald Trump 2016 zum ersten Mal zum Präsidenten der USA gewählt wurde, begann Elfriede Jelinek AM KÖNIGSWEG zu schreiben. Im November 2024, zwei Wochen nach Trumps erneutem Sieg veröffentlichte sie ihr Nachspiel zu diesem Königsweg: ENDSIEG. Am Theater Bonn kommen AM KÖNIGSWEG und ENDSIEG erstmals in Verbindung zur Aufführung und das vier Tage nach der Inauguration von Donald Trump als 47. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
»Nach dem Königsweg ist vor dem Königsweg ist der Königsweg« oder auch: Er ist wieder da. Einmal mehr haben sich die Menschen für die Aushöhlung der Demokratie entschieden. Die Gesellschaft in den USA ist massiv gespalten und mit Blick auf die Bundestagswahl im Februar 2025 wird Trumps Sieg auch den menschenfeindlichen und autoritären Kräften der Neuen Rechten in Europa Aufwind geben. Gleichzeitig wird in Deutschland an Kultur und Sozialem gespart, selbst die demokratischen Kräfte lassen Stil und Inhalt vermissen und scheinen ohnmächtig.Sie reagieren, während andere jubilieren. Beobachten wir gerade das Endspiel der Demokratie Geht ein Gespenst des Faschismus umher?
In seiner jüngsten Publikation BRANDSTIFTER UND IHRE MITLÄUFER fragt der Historiker und Politologe Rafael Seligmann: »Bestimmen fortan ›starke Männer‹ ohne Skrupel das Schicksal der Welt? In Diktaturen, aber auch in etablierten Demokratien?«
In seiner Aufzählung und Auseinandersetzung mit den berüchtigsten Pyromanen der Gegenwart darf Donald Trump natürlich auch nicht fehlen. Seligmann versucht Gemeinsamkeiten zwischen Politikern mit ähnlich autokratischem Profil wie Trump, Putin, Erdoğan oder Xi Jinping aufzuzeigen. Auf der Hand liegt: In erster Linie sind sie alle Männer, wobei der Blick nach Italien Vermutungen zulässt, wie weibliches Zündeln aussehen kann. Ihnen gemein ist das Verhältnis, das diese Führer und Führerinnen zu der Bevölkerung pflegen. Denn ohne Mitläufer und Mitläuferinnen wären diese Pyromanen alle nicht so erfolgreich. Seligmann beschreibt eine Spaltung, die von reaktionären Kräften weltweit gezielt voran getrieben wird. Er verweist dabei ausdrücklich auf gesellschaftliche Umbrüche und die Angst vor genau diesen und macht deutlich: »Es sind nicht nur die bösen Brandstifter. Es ist die Bevölkerung.« Die Menschen seien »das Benzin, das nur noch nach Streichhölzern sucht.« Seligmann geht dabei also davon aus, dass ein gewisser Hang zum antidemokratischen im Menschen ohnehin angelegt ist. Wer sind die Mitläufer und Akteurinnen, die den Brandstiftern zum Erfolg verhelfen? Warum wählen sie Menschen, die gewaltbereit und menschenverachtend regieren, die kriminell und schuldbeladen sind und nur auf eines aus: unbedingte Macht und deren Erhalt?


Die Inszenierung von Katrin Plötner wird daher kein Abend über Trump sein. Damit würde man es sich viel zu einfach machen. Wie Elfriede Jelinek untersucht die Inszenierung die Entzündung der Menschen. Denn mit der Verbindung von AM KÖNIGSWEG und ENDSIEG lässt sich die Radikalisierung des Volkes oder der Abgehängten zu einer entfesselten Menge erzählen. Jelinek folgt René Girards Gedanken über das Heilige und die Gewalt: Das Kollektiv sucht sich einen Sündenbock, dessen Opferung eine vermeintliche Harmonie verspricht. Übertragen wir das mal auf Deutschland: Genau eine der etablierten Parteien schafft es Migration nicht zu problematisieren und als Erklärungsmuster für andere politische Belange herzunehmen. Die einen versprechen eine Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes und wollen das Gendern verbieten, als würden diese hohlen Maßnahmen auch nur irgendetwas zu den Brandherden beitragen, die es wirklich zu löschen gilt. Max Czollek würde sagen: »Deutschland [2024] fühlt sich an, als würde die Hütte brennen und manche sehen die Flammen und andere riechen noch nicht einmal den Rauch.« AM KÖNIGSWEG/ENDSIEG thematisiert eine stetige Radikalisierung, die gesellschaftliche Kontinuität von Gewalt. In Amerika, weltweit und direkt vor unserer Haustür.

In AM KÖNIGSWEG dachte Jelinek schon 2016 explizit über die Ohnmacht der Intellektuellen und der Kunst angesichts des erstarkenden Rechtspopulismus nach. In ihrem Stück treten die berühmten Sehenden der Antike auf – doch sie sind alle blind und aus ihren Mündern fließt Blut. Überhaupt sind hier alle blind: die, die dem gewählten Anführer und seinen Versprechungen vertrauen, aber auch seine politischen Gegner, die gar nicht merken, wie wirkungslos ihre verbalen Schläge sind oder die sich schon dieselben Narrative angeeignet haben. Es bleibt die Frage: Was und wen kann die Kunst, das Theater, können Worte überhaupt noch erreichen? Wie lassen sich Ohnmacht und Bequemlichkeit verhindern? Endlich raus aus der Reaktion und ab in die Aktion. Wem wollen wir unsere Welt überlassen? Seligmann stellt seinen Überlegungen ein Zitat aus Shakespeares KÖNIG LEAR voran: »Das ist eine Plage der Zeit, in der Verrückte Blinde führen«. Elfriede Jelinek drückt es so aus: »Denn das alles handelt von uns…«
Text von Sarah Tzscheppan