Eine Begegnung jenseits von Regelhaftigkeit
Ein Roadmovie ohne Road und ohne Movie
Wie wäre es, die Liebe zu suchen in einer Welt, die nicht von Arbeit bestimmt ist, frei von einer vorgegebenen Zeiteinteilung? Wie würden wir einander begegnen? Und was uns voneinander erzählen? Thomas Braschs Text MERCEDES bietet für dieses Gedankenspiel eine Versuchsanordnung. Er folgt keiner zwingenden Handlungsdramaturgie, er nimmt sich im Gegenteil gerade vor, ohne sie auszukommen. Auch die Figurenzeichnung ist nicht durchgängig; von Szene zu Szene begegnen sich Oi und Sakko neu. Nur vage Anhaltspunkte deuten an, wo sich die beiden befinden, und dies ist weniger ein konkreter Ort als vielmehr ein Zustand: Sie sind arbeitslos, betrachten jedoch ihre Arbeitslosigkeit „nicht als soziales, sondern als persönliches Problem“, wie Brasch selbst formuliert und damit sein Stück nicht als Sozialdrama gedeutet wissen will. All dies schafft Freiheit für eine Liebesgeschichte, in der zwei sehr unterschiedliche Figuren sich selbst suchen und die Nähe der jeweils anderen finden und sich darin ausprobieren. Die Aufgabe, die sich ihnen dabei unentwegt stellt, ist, sich selbst zu definieren ganz unabhängig von einer Leistungsgesellschaft. Oi und Sakko haben nur die Sprache, um das eigene Leben zu formen und das Interesse des Gegenübers zu wecken. Sie kleiden sich in Sätze, die sie nie schon parat haben; blank, aus dem jeweiligen Moment heraus, eröffnen sie mit ihren Worten einen Raum für die Begegnung, geben sich mutig preis, immer darauf gefasst, sich gleich wieder in die Einsamkeit zurückziehen zu müssen. Zwischen ihnen steht ein aus dem Nichts hingezauberter Mercedes, der in seiner Fiktionalität eine verbindende Kraft besitzt. Die Fantasie, das gemeinsame Spiel, hält Oi und Sakko zusammen und lässt auch auf der Ebene des Theaters die größtmögliche Freiheit, die Figuren zwischen Sehnsucht und Abfuhr mit Leben und Intensität zu füllen.
Ein Plädoyer für das Spielen.
Text: Male Günther