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Altwerden ist nichts für Feiglinge!

Der Produktionsdramaturg Christoph Wagner-Trenkwitz interviewt Regisseur Josef Ernst Köpplinger.

Christoph Wagner-Trenkwitz: Es heißt oft, dass DER ROSENKAVALIER nach
SALOME und ELEKTRA eine Kehrtwende bedeutet, eine Abkehr des Richard Strauss von der Avantgarde. Teilen Sie diese Meinung?

Josef Ernst Köpplinger: Überhaupt nicht. DER ROSENKAVALIER ist musikalisch weder brav noch altmodisch, und man hat ihn bei der Uraufführung auch inhaltlich als recht skandalös empfunden. Dass Richard Strauss ins Wiener Barock eine Reihe total anachronistischer Walzer hineingeschrieben hat, galt damals manchen Kritikern – aber die Meisterwerke haben sich immer gegen die Kritik durchgesetzt! – als Kniefall vor der Operette. Ich sehe es als gelungenes „Crossover“: So nahe kann große Oper der guten Unterhaltungsmusik kommen! Der Tiefsinn dieses Werkes kann neben dem Komischen durchaus bestehen, Emotion und Ratio werden gleicherweise befriedigt – all das macht eine große Komödie aus.

CWT: Ein heikles Thema, gerade bei einer „Komödie für Musik“, wie der Untertitel lautet: Wie schafft man Textverständlichkeit bei der zum Teil sehr monumentalen Strauss-Musik?

JEK: Nicht nur für den Textdichter Hofmannsthal, auch für den Komponisten selbst war die Textverständlichkeit ein zentrales Anliegen. Das ist hauptsächlich ein Thema für unseren großartigen Dirigenten Dirk Kaftan; aber ich möchte mit dem Zitat eines Walzer-Zeitgenossen von Richard Strauss antworten: „Man tut, was man kann!“

CWT: … das sagt Danilo in DIE LUSTIGE WITWE von Franz Lehár. Auch eine Komödie mit ernsthaften Untertönen …

JEK: … ein tolles Stück, aber DER ROSENKAVALIER ist doch ein anderes Kaliber! Es geht um das Erkennen von Vergänglichkeit. Den Tieren ist das nicht gegeben, nur der Mensch weiß, was Vergänglichkeit bedeutet; und die Wiener, so scheint es, wissen es besonders gut! Mein Bühnenbildner Johannes Leiacker hat das barocke „Vanitas“-Thema sehr gut umgesetzt: das Vergehen und Verblühen, das sich in der titelgebenden Blume zeigt; auch den Blick der Marschallin in den Spiegel, der nicht nur oberflächliche Eitelkeit bedeutet, sondern das Ergründen-Wollen von Vergänglichkeit.

CWT: Man könnte einen ganzen Kalender mit zu Herzen und zu Hirn gehenden Zitaten aus Hofmannsthals Libretto füllen. Reift man auch als Regisseur mit diesem Werk?

JEK: Das will ich meinen! Der Untertitel könnte lauten wie der Titel von Joachim Fuchsbergers Autobiografie: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“. Das allein gibt zu denken! Andererseits ist DER ROSENKAVALIER eine pralle, sehr temporeiche Spieloper, die den Sängerinnen und Sängern alles abverlangt. Statische Momente, wie die Rosenüberreichung, sind in der Minderzahl. Gerade der Ochs ist eine Monsterpartie – da kann Bonn glücklich sein, den unglaublich erfahrenen Vollblutkomödianten Franz Hawlata gewonnen zu haben. Aber auch alle anderen großen und kleineren Rollen, das muss ich betonen, sind hier wunderbar besetzt; alle sind bei der intensiven Probenarbeit mit vollem Eifer dabei.

CWT: Richard Strauss selbst hat angemerkt, dass die Marschallin nicht zu süßlich-sentimental dargestellt werden darf, sondern dass sie, ganz wienerisch, ein lachendes und ein weinendes Auge hat.

JEK: Ganz klar, sie ist keine alte Frau, die da einen Abschied vom Leben zelebriert. Octavian ist nicht ihr erster und nicht ihr letzter Liebhaber, aber diesmal tut die Trennung vielleicht besonders weh. Wir sehen ja Seitensprüngen gern zu, aber wehe, wenn es uns selbst betrifft!

CWT: Welche „neuen“ Akzente kann der Regisseur in diesem wohlbekannten Klassiker überhaupt setzen?

JEK: DER ROSENKAVALIER gehörte immer zu meinen Top 5, und ich habe großen Respekt davor. Man muss das Werk nicht neu erfinden, aber sehr genau hinsehen und -hören. Zum Beispiel die Figur des Leopold: Das „Kind meiner Laune“, das Ochs mit sich führt, muss durchinszeniert werden; und was hat das Taschentuch, das der kleine Mohammed am Ende den Liebenden nachträgt, für eine Geschichte? Diesen und anderen Details spüre ich gerne nach.

CWT: Die MeToo-Bewegung hat die Opernwelt längst erreicht; wie viel kann, darf oder muss man zeigen, gerade wenn es um die Annäherungsversuche des Ochs geht?

JEK: Ochs auf Lerchenau ist ein übergriffiger Mistkerl, das zeigen wir auch. Und dass er seine sympathischen Seiten hat, macht die Sache leider nur noch realistischer! Wir spielen Komödie ja in erster Linie nicht mit den Tugenden, sondern mit den Schwächen der Menschen – und DER ROSENKAVALIER ist kein Bühnenweihfestspiel, sondern eben eine Spieloper.

CWT: Dieser ROSENKAVALIER ist eine Koproduktion mit der Volksoper, wo er in zwei Jahren als erste Premiere des Werkes in Wien seit Otto Schenks Staatsopern-Inszenierung von 1968 ge­zeigt wird! Macht Sie der Gedanke
nervös?

JEK: Überhaupt nicht. Ich inszeniere jetzt in und für Bonn; 2021, in einer anderen Stadt. Mit anderen Darstellerinnen und Darstellern wird die Sache sicher nicht gleich aussehen! Und wer weiß, was sich bis dahin in Österreich so tut …?