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DIE BRÜDER LÖWENHERZ

Vielleicht ist es manchmal hilfreich auf den moralischen Kompass von Kindern zu hören und sich zu fragen, welche Welt man den eigenen hinterlassen möchte:

»Ich glaube, wir müssen von Grund auf beginnen. Bei den Kindern. […] Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. […] In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben. Gibt es auch nur die geringste Hoffnung darauf, dass die heutigen Kinder dereinst eine friedlichere Welt aufbauen werden, als wir es vermocht haben?«

Entstehungsgeschichte

Die Figuren und Geschichten von Astrid Lindgren haben ganze Generationen von Kindern geprägt. Astrid Lindgren hat ihr Publikum sehr ernst genommen. In ihren Büchern spielt es keine Rolle, wer Kind und wer Erwachsener ist. Sie thematisierte komplexe Themen wie soziale Ungleichheit oder das Sterben und den Tod von engen Bezugspersonen. Die Welten von Astrid Lindgren sind geprägt von einer »sensiblen Balance aus Gemeinschaftsgeist und Selbstbestimmung«.
Die Kinder in den Geschichten sind Menschen mit eigenständigen Persönlichkeiten, die selbstständig und eigensinnig sind, auf ihre Rechte beharren und Freiräume behaupten, die kreativ und neugierig sind und deren Blick auf die Welt, dem der Erwachsenen in der Regel so einiges voraus hat. Wahrscheinlich sind gerade deswegen die Geschichten von Astrid Lindgren so zeitlos.

Die Geschichte der Brüder Jonathan und Karl ›Krümel‹ Löwe ist »fast wie ein Märchen […] und ein bisschen auch wie eine Gespenstergeschichte.« Es werden unterschiedliche Inspirationen für DIE BRÜDER LÖWENHERZ genannt. Da heißt es, Lindgren habe sie für ihren Neffen erfunden, der sich nach dem Tod nur etwas Dunkles vorstellen konnte.
Oder auch, »[dass Astrid Lindgren] eines frühen Morgens bei Raureif und Schneenebel mit dem Zug am See Fryken entlang fuhr, in einem rosa Licht, das so überirdisch schön war, dass Astrid das Gefühl hatte, vielleicht eine Geschichte schreiben zu müssen, die an einem Ort spielte, der nicht in dieser Welt war.« Kurz darauf sei Lindgren mit einer Freundin über einen Friedhof spaziert und hätte dort zwei Gräber von je zwei Brüdern gesehen, die beide in demselben Jahr gestorben sind. »Da wusste ich, dass es ein Märchen über zwei Brüder und den Tod werden würde«, soll sie gesagt haben.

Die Handlung

DIE BRÜDER LÖWENHERZ ist ein Abenteuerroman, der von Angst und Mut, Krieg und Frieden und Gut und Böse erzählt, vor allem aber von der Liebe zwischen zwei Brüdern, die füreinander ihr Leben geben würden. Krümel erfährt durch Zufall, dass er so krank ist, dass er nicht mehr sehr lange leben wird. Das bereitet ihm sehr große Angst, daher erzählt ihm sein Bruder Jonathan von Nangijala. Dort erlebt man den ganzen Tag Abenteuer. Es ist das Land der Sagen und Lagerfeuer. Krümel findet Trost in dieser Vorstellung sorgt sich aber auch, wie es ihm wohl so ohne Jonathan in Nangijala ergehen soll. Als das Haus der Familie Feuer fängt und Jonathan seinen Bruder in letzter Minute retten kann, kommt es ganz unerwartet so, dass der ältere Bruder sich früher auf den Weg nach Nangijala macht.

Doch Krümel folgt ihm bald und die beiden leben fortan als die Brüder Löwenherz im Kirschtal, einem Ort des ewigen Frühlings. Die Idylle wird allerdings von dem bösen Herrscher Tengil, seinen Soldaten und der gemeinen Drachin Katla bedroht, die schon im Begriff sind, das benachbarte Heckenrosental zu erobern und zu unterdrücken. Gemeinsam mit ihren Freunden und Freundinnen ziehen die Brüder in einen Kampf für die Freiheit, um Nangijala gegen den Tyrannen und sein Gefolge zu verteidigen. Dieser Kampf wird Leben kosten und Krümel wird lernen, seine Ängst zu überwinden. Am Ende wartet das Licht. In Nangilima.

Die Reaktionen

Die Geschichte der Brüder Löwenherz entstand Anfang der 1970er Jahre und wurde damals stark kritisiert. Die Zeit war politisch aufgeladen und u. a. geprägt von dem Krieg in Vietnam und dem kalten Krieg. Der im Buch beschriebene Widerstandskampf war demnach mehr als zeitgemäß. Gleiches gilt auch für unsere Gegenwart, denn spätestens seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 sind kriegerische Konflikte näher gerückt.

 

Wie spricht man mit Kindern über Themen wie Krieg und Tod? Was sicher viele Eltern heute vor Herausforderungen stellt, war auch schon in den Reaktionen nach dem Erscheinen der BRÜDER LÖWENHERZ spürbar. Kritiker warfen Lindgren damals vor, ein vereinfachtes und apolitisches Buch geschrieben zu haben. Die fantastische Erzählform erschien nicht so zeitgemäß wie ihr Inhalt. Kinderliteratur sollte junge Leser und Leserinnen über die Ungerechtigkeiten der Welt aufklären und daher besonders realistisch bei der Schilderung von gesellschaftlichen und sozialen Konflikten sein. Gleichzeitig polarisierte die direkte Schilderung von Tod und Krieg. Krümels und Jonathans Sprung ins Licht wurde auch als Verherrlichung von Suizid gedeutet.

Das Spannende bei der Diskussion war und ist: Kinder schienen den Roman mit völlig anderen Augen zu lesen als ihre Eltern. Astrid Lindgren erhielt tausende Briefe von jungen Leserinnen und Lesern, die sich bedankten, sich getröstet fühlten und sich fragten, wie es Krümel und Jonathan in Nangilima erging. Denn es kann Mut machen, sich Geschichten zu erzählen und es ist immer möglich, über sich selbst hinauszuwachsen und zwischen Gut und Böse und allen Grautönen dazwischen zu unterscheiden.

Text von Sarah Tzscheppan

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