Glaube Liebe Hoffnung
ein kleiner Totentanz in fünf Bildern von Ödön von Horváth
Regie: Julia Hölscher | Musikalische Leitung: Simon Hastreiter
Bühne: Paul Zoller | Kostüme: Sabrina Bosshard | Dramaturgie: Nadja Groß
ca. 90 Minuten keine PauseElisabeth ist zuversichtlich. Zwar hat sie gerade keine Arbeit, keinen Gewerbeschein und auch noch eine Geldstrafe offen, aber worauf sie sich verlassen kann, ist sie selbst. Beziehungsweise auf ihren Körper. Den möchte sie nämlich verkaufen an das anatomische Institut. Für wissenschaftliche Experimente nach ihrem Ableben. Im Gegenzug erhofft sie sich, jetzt sofort 150 Mark zu bekommen. Das wäre genug Geld für ihren Gewerbeschein. Und mit dem könnte sie sich selbstständig machen und wieder arbeiten. Und hätte sie erst einmal Arbeit, stünde ihr die Welt wieder offen! Blöd nur, dass Elisabeth anscheinend vollkommen falsch informiert wurde. Das Institut hat keinerlei Interesse am Erwerb ihres Körpers. Die Zeiten sind schlecht. Der einsame Präparator will trotzdem helfen und leiht ihr das Geld. Das benutzt sie wiederum, um ihre Vorstrafe zu bezahlen. Für eine Verbrecherin hätte er natürlich niemals sein hart verdientes Geld hergegeben. Er zeigt sie wegen Betrugs an und Elisabeth bekommt eine Haftstrafe. Wieder in Freiheit, reiht sie sich vor dem Wohlfahrtsamt in die lange Schlange der Arbeitssuchenden ein. Ohne Erfolg. Zufällig begegnet sie dem Polizisten Alfons. Die beiden verlieben sich, Elisabeth verschweigt ihm aber, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist. Als das rauskommt, lässt er sie sitzen, um seine Karriere nicht zu gefährden. Elisabeth ist wieder allein. Ohne Perspektive und zerrieben von den alltäglichen Gegebenheiten, hat sie den Glauben an eine bessere Gesellschaft verloren, die Liebe zu Alfons und die Hoffnung, dass sie doch noch einmal Glück haben wird.
Wie verzweifelt muss eine junge Frau sein, die ihren Leichnam zum Verkauf anbietet? Welche gesellschaftlichen Umstände treiben Menschen in derart ausweglose Situationen? Diese Fragen stellte Ödön von Horváth ins Zentrum seines Theaterstücks aus dem Jahr 1932 und enthüllte damit nicht armselige Menschen, sondern Zustände, die armselig machen. Elisabeth bewegt sich Tag für Tag auf einem sehr schmalen Grad zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Der Mangel ist ihr stärkster Motor. Alles, was sie will, ist Arbeit und Unabhängigkeit. Alles, was sie bekommt, ist der ständige Kampf gegen die sozialen und moralischen Zwänge in einer patriarchalen, von Arbeitslosigkeit und Kälte gezeichneten Gesellschaft, in der alle Angst haben, abzusteigen und in der jeder um die eigene Existenz fürchtet.
Julia Hölscher begann zunächst ein Gesangsstudium und arbeitete als Sängerin am Schauspielhaus Hamburg, bevor sie an der dortigen Theaterakademie ein Regiestudium absolvierte. Erste Inszenierungen führten sie an das Schauspiel Hannover, Schauspiel Düsseldorf und das Schauspiel Frankfurt. 2009 bis 2013 war sie Hausregisseurin am Staatsschauspiel Dresden, von 2015 bis 2020 am Theater Basel. Sie inszeniert seit 2013 auch im Musiktheater und arbeitet regelmäßig als Hörspielregisseurin für Deutschlandfunk Kultur. Außerdem unterrichtet sie an der Theaterakademie Hamburg und an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt.