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Lob für große Bühnenmomente

Verleihung der Bonner Theaterpreise THESPIS und COURAGE am 6. Oktober im Schauspielhaus

Nach guter rheinischer Sitte sei es beim zweiten Mal beinahe schon Tradition, erklärte Bürgermeisterin Dr. Ursula Sautter, die die zahlreichen Gäste im Namen der Bundesstadt Bonn begrüßte zur festlichen Preisverleihungs-Matinee. Erneut hatten die Gesellschaft der Freunde des Schauspiels Bonn e.V. und die Theatergemeinde BONN gemeinsam eingeladen zur Vergabe der Bonner Theaterpreise THESPIS und COURAGE. Dr. Sautter lobte diesen vereinten Einsatz für die Vielfalt der Bonner Bühnenlandschaft ausdrücklich. Den Schauspielfreunden dankte sie insbesondere für den großartigen ehrenamtlichen Einsatz bei der regelmäßigen Bewirtschaftung der Kantine im Schauspielhaus. Sie spendeten viel Zeit, also eins der kostbarsten Güter überhaupt. Bei den Leistungen der Theatergemeinde hob sie vor allem das Engagement für Kinder und Jugendliche hervor – als wichtigen Beitrag zur Zukunft der Kultur insgesamt.

 

 

Auch Generalintendant Dr. Bernhard Helmich betonte in seiner Begrüßungsansprache die Arbeit der Schauspielfreunde in der Kantine bei Proben und Vorstellungen. Das sei von einem normalen Betrieb nicht kostendeckend zu leisten. Aber das ehrenamtliche Engagement gehe weit über die Beschaffung und das Servieren von Getränken sowie das Verteilen von Rosen bei Premieren hinaus. Es schaffe auch eine besondere freundschaftliche Nähe zwischen allen Beteiligten. Zuvor hatte der Pianist Theo Palm, musikalischer Leiter am Kleinen Theater Bonn, das Publikum mit einem flotten Mozart-Rondo eingestimmt auf einen beschwingten Vormittag. Neben etlichen Theaterschaffenden, -fördernden und vielen allgemeiner Interessierten war auch die Kulturpolitik gut vertreten mit mehreren Mitgliedern des Kulturausschusses, darunter Fenja Wittneven-Welter, Kultursprecherin der SPD im Rat der Stadt Bonn.

 

 

Lars Figge, Tonmeister und Videospezialist am Theater Bonn, hatte wieder einen kurzweiligen Zusammenschnitt von Szenen aller Schauspielproduktionen der vergangenen Spielzeit vorbereitet. Die Wahl der Jury der Schauspielfreunde war auf die Inszenierung VON MÄUSEN UND MENSCHEN nach dem Roman des US-amerikanischen Literatur-Nobelpreisträgers John Steinbeck gefallen und damit nach Ibsens frühem Drama PEER GYNT 2023 bereits zu zweiten Mal auf eine Regiearbeit des Hausregisseurs Simon Solberg. Laudator Dr. Konrad Lang, stellvertretender Vorsitzender der Schauspielfreunde, schilderte seine anfänglich Skepsis: »schon wieder eine Roman-Adaption. (…)  Und überhaupt: Was soll uns am Schicksal von Wanderarbeitern im verarmten Süden der USA interessieren?« Er ließ sich dann rasch überzeugen von Bühnenbild, Licht, Musik und dem großartigen Ensemble, das mit vielschichtig eingesetzten Theatermitteln die psychologischen Verstörungen transparent machte. Fazit: »Ein außerordentlich bewegender Theaterabend!« Regisseur Solberg dankte für die Auszeichnung und berichtete noch allerhand Erhellendes zur Arbeit an dem Stück.

Elisabeth Einecke-Klövekorn, Vorsitzende sowohl der Schauspielfreunde als auch der Theatergemeinde, erläuterte den von den Schauspielfreunden gestifteten Sonderpreis für besondere Leistungen im nicht-darstellerischen Bereich mit einem Zitat des Ensemble-Mitglieds Christoph Gummert: »Ich freue mich für die vielen tollen Menschen, welche die Besucher:innen aus deren Alltag in unseren Kosmos leiten, dabei so manches Problem lösen und oft viel Frust auffangen.«

Die mit 500 € dotierte Auszeichnung ging nämlich an das ‚Vorderhaus-Team‘ des Schauspielhauses. Mit dem etwas prosaischen Begriff gemeint sind die freundlichen Menschen an der Theaterkasse, am Einlass und an der Publikumsgarderobe. »Sie alle sorgen dafür, dass man vor den Aufführungen erwartungsfroh eingestimmt und später auch nett verabschiedet wird. Sie sind die hilfsbereiten guten Geister, die Schleuser:innen zum Theaterglück und mitunter auch die Blitzableiter:innen«, erklärte die Laudatorin.

 

 

Die Jury der Theatergemeinde hatte etliche Produktionen der privaten und freien Bonner Bühnen in den Blick genommen. Lars Figge ließ die Kandidat:innen noch einmal Revue passieren anhand einer von Udo Bielke, Redakteur des TG-Kulturmagazins, zusammengestellten Fotostrecke. Der mit 1.000 Euro dotierte COURAGE-Preis ging an die Vorstellung »AUS GROßER ZEIT«, auf der Basis von zwei Romanen von Walter Kempowski inszeniert von Volker Schmalöer.

»Der Regisseur hat Präzisionsarbeit geleistet, um die kleinen dramatischen Szenen mit einem famosen neunköpfigen Schauspiel-Ensemble in rund 50 Rollen zu einem zeitgeschichtlichen Mosaik zu formen. Und das mit stupender Leichtigkeit und feinem Humor. Die anspruchsvolle Inszenierung schildert die Epochenbrüche vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Aufstieg des Nationalsozialismus. Das Bürgertum träumt von der Wiederherstellung der alten Ordnung und des einstigen Wohlstands, während die Welt in die Katastrophe taumelt.« So Laudatorin Einecke-Klövekorn.

Sie hatte auch hier noch weitere Referenzen eingeholt und zitierte den Schauspieler Rolf Mautz, langjähriges Bonner Ensemble-Mitglied und THESPIS-Preisträger 2013. Amüsant schilderte dieser seine ersten Begegnungen mit dem Regisseur Schmalöer am Theater Oberhausen. Einecke-Klövekorn lobte den Mut, eine solch große Produktion zu wagen, die eigentlich die Möglichkeiten eines nicht eben üppig finanzierten kleinen Privattheaters übersteige. Couragiert sei es auch, ein Projekt gleich über mehrere Spielzeiten zu planen. So verweise der zum zweiten Mal verliehene COURAGE-Preis auch gleich in die Zukunft, denn in den nächsten Jahren sollen noch drei weitere Folgen von Kempowskis »Deutscher Chronik« im Kleinen Theater auf die Bühne kommen. Die mit dem COURAGE verbundene spezielle Kalligrafie überreichte die Bonner Künstlerin Larissa Laё selbst dem glücklichen Theaterleiter Frank Oppermann

 

 

Von Theo Palms Improvisation über ein schwedisches Volkslied schlug Laudatorin Einecke-Klövekorn einen Bogen zu Purcells berühmtem »Cold Song«. Ursula Grossenbacher sang ihn vor einem Jahrzehnt auf der Bühne des Schauspielhauses als Marquise de Merteuil in Laclos‘ GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN. Seit der Spielzeit 2014|15 ist die gebürtige Schweizerin fest am Theater Bonn engagiert und überzeugte hier in zahlreichen Rollen. Ausschlaggebend dafür, dass Grossenbacher bei der Publikumsumfrage der Schauspielfreunde ganz oben auf der Liste der THESPIS-Kandidat:innen landete, war sicher ihre Gestaltung der Figur der Politikergattin Elisabeth Blaukrämer in Bölls FRAUEN VOR FLUSSLANDSCHAFT, inszeniert von Schauspieldirektor Jens Groß.
 

 

Grandios spielte sie die unbeugsame Frau, die die Verleugnung der Vergangenheit nicht hinnimmt, als verlogene Hysterikerin in die Psychiatrie abgeschoben wird und sich schließlich aufhängt. »Mit ihrer Verletzlichkeit, ihrem bitteren Sarkasmus und ihrer wütenden Empörung zog sie das Publikum in ihren Bann.«
Großartig war sie auch als Wissenschaftlerin Rose in dem Stück DIE KINDER von Lucy Kirkwood, in der Werkstatt inszeniert von Jan Neumann. Nach einer erfolgreichen Karriere in den USA ist Rose an ihren alten Wirkungsort zurückgekehrt, wo ein havarierter Reaktor alles Leben bedroht. Rose hat einen Rettungsplan, von dem sie schließlich auch ihre alten Freunde überzeugt. Mit ihrer selbstironischen Nüchternheit und ihrer komödiantischen Intelligenz nahm sie auch hier das Publikum für sich ein.

 

 

Zum finalen Höhepunkt der Preisverleihungen geriet die ganz persönliche Laudatio von Grossenbachers ehemaliger Kollegin und vorjährigen THESPIS-Preisträgerin Annika Schilling, die die elementare Neugier, die künstlerische Unbestechlichkeit und die liebenswürdige Großzügigkeit der Schauspielerin anrührend beschrieb. Zuvor hatten die aktuellen Kolleg:innen Grossenbacher mit einem witzigen kurzen Video gratuliert zu der mit 1.000 Euro dotierten Auszeichnung, die 2024 zum 17. Mal vergeben wurde. Wieder verbunden mit einer von der Bonner Künstlerin Sidika Kordes speziell gestalteten würfelförmigen Skulptur aus massivem Glas. Sieht leicht aus, ist aber ziemlich gewichtig – wie eben auch manche großen Bühnenmomente.

Beim anschließenden festlichen Empfang im Foyer unterhielt man sich noch lange angeregt über die diversen Gemeinsamkeiten der Bonner Bühnen und der beiden Vereine, die mit ihren Preisen darauf aufmerksam machen möchten.

 

Ursula Grossenbacher

Die in Zürich geborene Schauspielerin ist seit der Spielzeit 2014/15 am Theater Bonn engagiert und hat hier zahlreiche Rollen gespielt. Das reicht von der Grete in Schwabs PRÄSIDENTINNEN bis zur Titelrolle in FRAU MÜLLER MUSS WEG und zur klassischen Paraderolle der Marthe Rull in Kleists ZERBROCHNEM KRUG. Besonders beeindruckte sie in der Spielzeit 2023|24 als in die Psychiatrie abgeschobene Politikergattin Elisabeth Blaukrämer in Bölls FRAUEN VOR FLUSSLANDSCHAFT. Als Person außerhalb des Theaters steht die eigenwillige Schauspielerin ungern im Rampenlicht. Das überlässt sie lieber ihren Kunstfiguren auf der Bühne. Dort kann sie emotional äußerst verletzlich und physisch zerbrechlich wirken, aber gleichzeitig stark und selbstbewusst. Mitunter erscheint sie sarkastisch und wütend, bisweilen auch mal herrlich komisch. Sie liebt die kreative Arbeit im Ensemble, passt in kein Klischee und tritt meistens geradezu auffällig uneitel auf. Sie ist eine versierte Spielerin, die – hochmusikalisch – gern über steile Sprachklippen tanzt oder Abgründe erkundet. Über allem schwebt bei ihr immer eine Art metaphysische Ironie. Selbst als erfahrene Darstellerin erforscht sie wie Alice im Theater-Wunderland die Welt hinter den Spiegeln und macht dabei hellwach ihr Publikum stets ebenso neugierig wie sich selbst.