Farm der Tiere

Eigentlich ist das Lesen von Dystopien angesichts des Weltgeschehens nahezu obsolet geworden, reicht doch ein Blick in die Zeitung, auf die Instagram-Kachel, den bluesky-Feed (weder ehemals Twitter noch X, aber sonst genauso) oder die Nachrichten. Doch was macht das mit jungen Menschen, die noch ganz am Anfang ihrer Reise stehen? Wie würden sie eine Gesellschaft gestalten, wenn sie völlig freie Hand hätten? Diese und ähnliche Fragen stehen im Fokus des neuen partizipativen und inklusiven Projekts am Theater Bonn. Textgrundlage ist die berühmte Fabel FARM DER TIERE von George Orwell.

Der Inhalt der Fabel ist schnell erzählt: Der Farmer Jones behandelt seine Tiere sehr schlecht, lässt sie hart für sich arbeiten und gibt ihnen zu wenig Futter. Nachdem er über mehrere Tage vergisst, die Tiere zu versorgen, starten diese eine Revolution und vertreiben ihn vom Hof. Ein Neuanfang! Von nun an bringt sich jedes Tier nach seinen eigenen Möglichkeiten für die Gemeinschaft ein: »Alle Tiere sind gleich.« Es werden sieben Gebote erlassen, an die sich alle zu halten haben.
Doch mit der Zeit übernehmen nach und nach die Schweine, angeführt von Schneeball und Napoleon, das Kommando über die Farm. Sie teilen Aufgaben zu und lassen die anderen Tiere für sich arbeiten: »Alle Tiere sind gleich, aber einige Tiere sind gleicher als andere.« Die Schweine bauen eine Diktatur auf und am Ende der Fabel sind sie vom Menschen nicht mehr zu unterscheiden.
George Orwell verfasst dieses »Märchen« in den 1940er Jahren als Kommentar zu Stalin und Kritik am Sowjetkommunismus. Ähnlich wie sein zweiter weltberühmter Roman 1984 liest sich die FARM DER TIERE auch heute erschreckend aktuell. Im Dezember 2024 sagte Richard Blair, der Sohn von George Orwell, in einem Interview mit dem sz-Magazin:

»Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es eine Parallele zwischen Trump und FARM DER TIERE gibt. Und Trump ist Mr. Jones und Napoleon in einer Person. Ein grauenhafter Gedanke, nicht wahr? […] Farmer Jones war der Herrscher der Farm. Was er befahl, mussten die Tiere tun. Deshalb hatte Napoleon, ein Schwein, diesen großen Traum alles zu ändern. Und das tat er. Doch im Laufe der Zeit passte er die Regeln an. Unterdrückte die Hühner, Pferde, alle anderen Tiere. So verwandelte Napoleon den Traum in einen Albtraum. Und Trump will die Welt anführen, würde ich sagen.«
Wie auch bei früheren partizipativen Projekten, orientiert sich FARM DER TIERE nur sehr frei an der literarischen Vorlage. In den ersten Workshops mit Regisseur Dominic Friedel und der Theaterpädagogin Susanne Röskens galt es erst einmal herauszufinden, was für ein Tier man eigentlich gerne wäre und wie man überhaupt ein Tier auf der Bühne spielt. Sicher ist, dass wir es in der Inszenierung nicht nur mit Farmtieren zu tun haben werden, sondern auch mit Haus- und Waldtieren. Gebote haben die jeweiligen Tiergruppen für sich auch schon erlassen und dabei wild diskutiert, ob nun alle vegan leben müssen oder Tiere sich gegenseitig noch fressen dürfen: »Kein anderes Tier darf ein anderes Tier, essen, knuspern oder verschlucken.«.
Braucht es einen Anführer, eine Anführerin oder nicht? Dürfen Tiere von außerhalb auch auf die Farm kommen und Teil der Gemeinschaft sein? Brauchen wir jemanden, der auf uns aufpasst? Gar nicht so einfach, sich auf etwas zu einigen. So wie auf der Probebühne in Beuel muss es damals beim Verfassen des Grundgesetzes in Bonn auch zugegangen sein. Interessanterweise wurde aus der Perspektive der Tiere auch ziemlich schnell abgewogen, ob das Leben unter den Menschen eigentlich wirklich so schlecht war. Haben wir also verlernt, wie man eine Revolution macht oder fehlen gerade die Dinge, für die es sich zu revoltieren lohnt?

JD Vance bezog sich auf der Sicherheitskonferenz in München im Februar 2025 auf Meinungsfreiheit und den Orwellschen Begriff Gedankenpolizei. »[Trump] der Weltpolizist ist wieder da, und diesmal hat er die Gedankenpolizei gleich mit dabei. Denn das ist ja das Absurde: Zwar tun Trump und Musk wie auch Weidel und Höcke so, als plädierten sie für unbegrenzte Meinungsfreiheit, tatsächlich jedoch streben sie selbst eine Meinungsdiktatur an, grenzen unliebsame Menschen aus, greifen sie an.« (nd-Jounalismus von links) Oder um bei Orwells Ideen zu bleiben: »Mein Vater kritisierte links und rechts. Für ihn spielte es keine Rolle, woher Totalitarismus kommt […]. Er wollte auf die Unterwerfung der Menschen aufmerksam machen und auf die Desinformationen, die Bürger bei Laune halten sollten.«
Vielleicht tut es also doch mal wieder gut, die eine oder andere Dystopie anzuschauen. Auf den Buchseiten und auf der Bühne. Vielleicht können wir dabei noch etwas lernen. Halten wir es mit den jugendlichen Waldtieren: »Die Tiere auf der Farm sind schon eine Gemeinschaft. Warum bilden wir nicht alle zusammen eine Gemeinschaft?« So wird aus der Dystopie eventuell noch eine Utopie.
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