Magazin

Von Gedanken und (Nicht)Taten

 

 

Ein Gespräch über das szenische Potenzial von Prosa, das Reinwachsen in Unerreichbarkeiten und die ewige Sehnsucht nach Liebe, Sichtbarkeit und Berührung.

Yade, Worum geht es in deinem Roman?

Yade Yasemin Önder: Beginnend in Westdeutschland der 90-er Jahre erzählt mein Roman von den ersten 30 Lebensjahren der deutschtürkischen Ich-Erzählerin und dem furchtbaren Prozess des Reinwachsens in die ewig unerreichbare Schönheitsnorm. Trotz oder gerade wegen der schweren Vorzeichen wie Essstörungen, Rassismus und Gewalt, die die Erzählerin erleben muss, versucht sich die Sprache an Witz, einer Leichtigkeit und Uneindeutigkeit.

WIR WISSEN, WIR KÖNNTEN, UND FALLEN SYNCHRON ist dein erster Prosa-Text. Kannst du etwas zum Prozess des Schreibens erzählen und wann sich für dich herausgestellt hat, dass eben dieser Text kein Stück für die Bühne werden wird?

YÖ: Im Sommer 2018 schrieb ich die ersten fünfzehn Seiten, nichtahnend, dass daraus ein Prosatext würde. Denn ich hatte eigentlich vor, ein neues Theaterstück zu schreiben. Mit diesem Material gewann ich dann im Herbst den open mike-Preis. Daraufhin kamen verschiedene Verlage auf mich zu, die mir rieten, aus diesen Seiten einen Roman zu machen. Erst da realisierte ich, dass daraus ein größerer Prosatext werden könnte. Weil ich im darauffolgenden Jahr noch zwei Theaterprojekte zugesagt hatte, konnte ich mich erst im Lockdown 2020 wieder diesem Text widmen.

Emel, auf der Suche nach einem Stoff für deine erste Inszenierung am Theater Bonn haben wir sehr viele Romane gelesen und geprüft. Bei WIR WISSEN, WIR KÖNNTEN, UND FALLEN SYNCHRON hatten wir beide sofort das Gefühl »Das ist es«!

Was hat dich an dem Text berührt und für die Bühne gereizt und was macht den Roman so theatral?

Emel Aydogdu: Mich hat die namenlose, komplexe Ich-Figur sehr angesprochen. Ein Coming-of-Age Figur, die uns mit in ihr Leben nimmt. Wir sind Zeuginnen von ihren Gedanken und (Nicht)Taten. Der Roman hat sich für mich schon beim Lesen von Anfang an sehr surreal, immersiv und magisch angefühlt. Magie findet sich für mich auch im Theaterraum wieder und daher sehe ich dort diese Figur in ihrer Vielschichtigkeit und Natur als sprechende, beschreibende, schreiende, verzweifelte, auch liebevolle Ich-Erzählerin, die sich immer nach etwas sehnt. Nach Liebe, Sichtbarkeit und Berührung. Darüber hinaus empfinde ich den Roman als sehr physisch und aus diesem Grund möchte ich nicht nur mit der verbalen Sprache umgehen, sondern auch die Körper der Spielenden zum Einsatz bringen, um die erzählten Gedanken physisch und räumlich zu ergründen.

©Markus Bachmann

WIR WISSEN, WIR KÖNNTEN, UND FALLEN SYNCHRON ist nicht deine erste Romanbearbeitung für die Bühne. Wie bereitest du eine Bühnenadaption vor? Wie unterscheidet sich das von der Vorbereitung eines »klassischen« Theatertextes?

EA: Bei einer Romanadaption bin ich flexibler und kann bei der Bearbeitung eigene Akzente setzen, die mir wichtig erscheinen. Zunächst lese ich immer und immer wieder. Ich versuche den Text mit allen Sätzen, Punkten und Kommata zu begreifen, den Inhalt zu begreifen. Im nächsten Schritt versuche ich eine eigene Dramaturgie zu setzen und für mich einen Strang zu legen. Mir ist bewusst, dass diese Entscheidungen auch Macht demonstrieren. Macht darüber, was ich erzählen möchte und was nicht. Im nächsten Schritt kommen die Spielenden dazu. Mit ihnen nehme ich eventuell weitere Textstellen wieder rein oder wir streichen noch weiter, denn am Ende soll es im Idealfall für alle ein zugänglicher Abend werden.

Yade, wie geht es dir damit, dass der Roman jetzt seinen Weg auf die Bühne finden wird? Hast du Erwartungen oder Vorstellungen und fühlt es sich anders an, als die Inszenierung deiner Theatertexte?

©Markus Bachmann

 

Das Gespräch führte Sarah Tzscheppan.

WEITERE INFOS ZUR PRODUKTION UND TICKETS

: Ich bin so glücklich, dass mein Roman von Emel dramatisiert wird. Schon während des Schreibprozesses habe ich mir immer wieder einzelne Szenen auf der Bühne vorgestellt, und ich glaube, dass die monologhafte Sprache sehr viel szenisches Potenzial in sich trägt. Und ja, es fühlt sich anders an. Mit meinem Roman habe ich viel mehr Zeit (Jahre) verbracht als mit den Stücken, die sich schon mal in vier bis sechs Monaten schreiben lassen. Gerade weil ich jeden Zentimeter meines Romans kenne, vieles sogar auswendig kenne, bin ich wahrscheinlich aufgeregter als sonst. Aber im positiven Sinne.