»Eine Sinnlichkeit, sodass man sich wünscht, es anfassen zu können.«
Bühnen- und Kostümbildner Max Schwidlinski über seine Arbeit an NORA ODER EIN PUPPENHAUS in der Regie von Charlotte Sprenger
NORA ODER EIN PUPPENHAUS ist ein 1879 geschriebener Klassiker der Theaterliteratur, in dem eine Frau nach einer Reihe von Intrigen und aufgedeckten Geheimnissen mit ihrer Familie bricht. Die junge Regisseurin Charlotte Sprenger blickt über 140 Jahre später auf den Stoff und befragt, ob eine Gesellschaft heute anders auf die radikale Entscheidung einer Frau reagiert, ihre Familie zu verlassen.
Lieber Max, wie hast du die Wohnung der Familie Helmer, in der das Stück spielt, interpretiert und ins Heute übertragen?
Max Schwidlinski: Ibsen beschreibt die Wohnung der Helmers in seinen Regieanweisungen sehr genau. Sie ist zugestellt noch und nöcher, sodass man denken könnte, die haben eigentlich nur ganz schmale Gänge. Ich habe im Gegensatz dazu eher nach einer großen Leere gesucht – hohe Wände, die den Raum definieren, sodass man wie in einer Halle oder einer Loft-Wohnung steht. So ist das Gefängnis eher die Verlorenheit und nicht das Erdrückte.
In der Rückwand der Bühne gibt es zwei große Fenster, die einen Blick in ein Außen zulassen. Was symbolisieren sie für dich?
MS: Das Außen zu erzählen, war mir wichtig als Verweis darauf, wie eng dieses Innen trotzdem ist. Die Fenster sind sehr großzügig und dahinter hängt ein großes gemaltes Transparent mit einem satten grünen Sommerwald-Motiv, das Freiheit verspricht. Es gibt eine große Sehnsucht dorthin, die sich aber nicht erfüllen
lässt, denn trotz allem Naturalismus ist es immer als Malerei zu erkennen – das Außen ist auch nur eine behauptete Welt, die kein Entkommen zulässt. Bis nicht mal wirklich jemand dieses Haus verlässt, um nicht doch wieder zurückzukommen, ist alles eigentlich nur Dekor.
Du hast auch die Kostüme entworfen. Welche Idee hast du dabei verfolgt?
MS: Ich wollte vor allem knallige Farben. Es ist sehr viel aufgeblättert, sehr viel Balz. Die Figuren holen sich ihre Haltung über dieses Äußere. Wenn man bei Helmers ist, verkehrt man in guten Kreisen und alle wollen einfach etwas reicher sein, als sie vielleicht sind. Das gelingt Nora und und ihrem Mann Helmer besser als den anderen, aber im Grunde sind alle Kostüme wie Pfauenfedern auf dem selben Besteck von sozialer Situation.
In unserer Inszenierung sind die Kinder der Familie Helmer bereits erwachsen, wohnen aber noch bei ihren Eltern. Welche Bedeutung hatte diese Setzung für deine Ausstattung?
MS: Durch die erwachsenen Kinder erzählen wir eine Familie, die sich über eine lange Zeit in ihrer Situation eingerichtet hat. An den Kindern sieht man dezidiert, dass alle anderen Erwachsenen in dieser Welt – vor allem Nora und Helmer – einen Umgang mit ihrer Lebenslüge gefunden haben. Aber all das geht nicht spurlos an den Figuren vorbei und der Schaden, den man nach so vielen Jahren davon trägt – die Spuren dieser Lüge – sieht man an den Kindern. Die Fassade bröckelt im ganzen Haus, und an den Kindern wollte ich durch das Kostüm klar benennen, dass es auch etwas gekostet hat, diese Beziehung so lange aufrechtzuerhalten.
Was interessiert dich im Allgemeinen in deiner Arbeit als Bühnen- und Kostümbildner?
MS: Mich interessiert es, das Theater bei seinen Mitteln zu belassen, und ich mag ausdefinierte Räume. Mir ist beispielsweise wichtig, wie die Maserung der Rückwand aussieht oder ein 5x13 Meter großer naturalistisch bemalter Waldprospekt, der im Schwarzlicht noch mal etwas Neues enthüllen kann. Es gibt am Theater einfach so tolle Werkstätten, die so etwas herstellen können und ich mag dieses Pompöse,
wo die Fantasie losgeht und das eine Sinnlichkeit erzeugt, sodass man sich wünscht, es anfassen zu können. Gerade für ein Stück wie NORA wollte ich eine Welt bauen, die in sich so gut funktioniert, dass man wirklich reinguckt wie in ein Puppenhaus, weil aus einem kompletten Raum eine Wand herausgenommen wurde. Die Figuren und die Spielenden können sagen: Das ist unsere Welt und die geht genau bis zur Rampe und danach ist Schluss.
Das Interview führte Jan Pfannenstiel.