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»Es ist eine wahre Geschichte!«

 

 

Maximilian Hülshof im Interview mit Adriana Altaras, die LI-TAI-PE am Theater Bonn inszeniert, und Christoph Schubiger, der das Bühnenbild dazu entworfen hat.

Welchen Reiz macht die Arbeit an einem Stück wie LI-TAI-PE aus?

Adriana Altaras: LI-TAI-PE ist ein Stück, das man nicht kennt, auch nicht kennen kann. Ich habe zwar eine Aufnahme gehört, aber danach darf man die Oper nicht beurteilen. Es klang einfach absurd. Der Reiz liegt jedoch bereits darin, etwas so Unbekanntes zu inszenieren. Während der Arbeit entdeckt man dann, was das Stück von einem erfordert. Über das Bühnenbild mussten wir aber natürlich schon vorher Bescheid wissen.

Christoph Schubiger: Für mich als Bühnenbildner lag der Reiz eher darin, dass man eine fremde Welt betritt, die man so nicht kennt. Natürlich hat man eine Idee von China, sieht Bilder aus China – aber wirklich kennt man es nicht. Ich selbst war noch nie in China. Daher muss man sich visuell damit beschäftigen, mit allem, was man so über dieses Land findet.

Wie viel Orientalismus steckt in einer solchen Sichtweise?

AA: Ganz viel. Und das merkt man während des Arbeitens natürlich noch mehr, weil einem das Stück ja eben unbekannt ist.

Was war für sie die größte Überraschung bei der Arbeit an der Inszenierung?

AA: Die größte Überraschung war, was für eine immens aufwändige Oper LI-TAI-PE ist. Vor allem musikalisch. Es klingt manchmal nach Strauß und zum Teil auch nach Wagner. Die erzählte Geschichte ist verhältnismäßig schnell erzählt. Aber die Musik ist so groß, als gäbe es ein Riesenproblem. Das ist eine irre Diskrepanz, denn ich musste mir die Fragen stellen: Wie fülle ich diesen Abend? Wie erzähle ich diese kleine Geschichte groß?

Wie bereitet man sich auf eine solche Inszenierung vor? Es gibt ja keine Referenzpunkte, keine vorherige Inszenierung; und Sie sagten ja bereits:

Klischees müssen bis zu einem gewissen Grade auch bedient werden. Man hat eine Idee von China im Kopf – und wie setzt man dies dann um?

CS: Ich habe zuerst Bilder gesucht. Wir haben gesagt: Es gibt zwei Chinas. Es gibt das alte China vom Kaiser, wo die Geschichte spielt, aber auch das heutige China. Wir bringen beides auf die Bühne, und die Reibung dazwischen ist das Interessante. Gerade das alte China fasziniert mich besonders, denkt man an so interessante Sachen wie Kalligrafie und Tuschezeichnungen, zum Beispiel. Das sind Welten, die ich auch gerne auf die Bühne bringe.

AA: Das war auch für mich sehr inspirierend. Ich habe einen braunen Gurt in Karate. Gut, das ist jetzt Japanisch und nicht Chinesisch, aber die Tai-Chi-Formationen sind den Bewegungen der Katas sehr ähnlich. Das erste Bühnenbild ist beispielsweise deutlich modern in einer Straße von heutigen Garküchen erzählt. Das zweite Bild hat viel mit dem Parteitag von China zu tun. Dabei spielen wir durchaus mit unseren Vorstellungen und Klischees.

CS: Genau. Im Prinzip können wir nur aus dieser orientalistischen Sichtweise auf dieses Stück schauen. Wir wissen vielleicht mehr über China als vor hundert Jahren, aber wir sind dennoch nicht so weit entfernt von Clemens von Franckenstein und seiner Sichtweise.

AA: China hat sich geändert. Wir spielen mit dem Modernen, und man bereitet sich entsprechend vor, schaut moderne chinesische Filme – bis hin zum letzten Kaiser. Ich habe wahnsinnig viele chinesische Filme gesehen!

Da Sie das moderne China ansprechen. Warum ist LI-TAI-PE bis heute ein aktuelles Werk?

AA: Es wird nicht der politischste Abend, den wir hier machen, aber das ist nicht schlimm. Was natürlich erzählt wird, ist, und das ist das Wichtigste, die Macht des Kaisers. Aber auch die Macht der Kunst. Dass ein Künstler systemrelevant ist, ist etwas, das mir persönlich sehr wichtig zu erzählen ist. Er ist zwar ein Säufer, aber es ist ein systemrelevanter Säufer. Als Künstler mit seiner Kunst kann er dem Kaiser dienen.

Auf welche Aspekte des Werks legen Sie besonders Wert?

AA: Die unterschiedlichen Charaktere. Es gibt die staatstreuen Mandarine, es gibt den wilden Künstler a la Fassbinder oder Thomas Brasch. Es gibt den Kaiser, der ein bisschen so ist wie ein Intendant, von dem man sich Gerechtigkeit verspricht. Es gibt die Prinzessin, die ganz schön wütend ist, weil der Kaiser sie zunächst für eine Ehebrecherin hält. Und dann gibt es natürlich die Heldin, die aus Liebe zur Kunst ihren Helden rettet. Aus Liebe zu ihm, natürlich, aber noch mehr aus Liebe zu seiner Kunst! Weil sie seine Lieder und Werke besser kennt als ihn selbst. Es geht immer darum, wie wichtig die historische Figur Li-Tai-Pe war. Es gibt, ich weiß es nicht genau, über 400 Werke über ihn. Für einen überlieferten Dichter der Tang Dynastie ist das beeindruckend viel.

CS: Ja, das ist schon irre. Er muss sehr berühmt gewesen sein. Und diese Geschichte, die Geschichte über den Kaiser und die Prinzessin, ist alles verbrieft. Das finde ich schon schön. Es ist eine wahre Geschichte!

ist das auch in gewisser Weise eine Art Huldigung gegenüber der chinesischen Kultur?

AA: Nein. Es ist eine Huldigung gegenüber der Kunst. Da bin ich mir ganz klar.

Welche Figur liegt Ihnen am meisten am Herzen?

AA: Meistens ist man ja als Regisseurin selber drin – irgendwo. Und meistens ist man die Hauptfigur. Aber das bin ich, glaube ich, nicht. Ich gehöre zu den Mandarinen. Ich glaube, die Mandarine sind für mich das Lustigste. Sie sind eigentlich nur Teil des ersten Akts, aber bei mir kommen sie in allen drei Akten vor, weil sie das Spiel auf der Bühne beleben und sich auch lustig machen, ironisieren. Die vier Mandarine sind für mich die wichtigsten Figuren des Werkes und sind wirklich auch sehr lustig.

Gibt es Aspekte in dem Werk, die man heute vielleicht als rassistisch einstuft?

AA: Rassistisch vielleicht nicht, aber die Debatte über kulturelle Aneignung gibt es ja schon. Jedoch ist Kunst immer Aneignung. Man könnte sonst in DIE FLEDERMAUS auch nicht die ungarischen Tänze zeigen. Man könnte keine italienische Oper mehr produzieren. DON CARLO gäbe es auch nicht mehr. Also wir werden irre, wenn wir das ausklammern. Was ich mache, ist, ich spiele damit. Natürlich kann man ins Fegefeuer kommen, wenn man es nicht ernst nimmt. Doch ich spiele damit ironisch; und wenn man nicht mehr ironisch mit Dingen umgehen darf, dann muss ich leider meinen Beruf an den Nagel hängen.

CS: Es ist aber auch ein bisschen ein Unterschied, ob man jetzt mit China ironisch umgeht oder mit Minderheiten, bzw. Personen, die in der Geschichte sehr schwer darunter gelitten haben.

AA: Wir machen uns nicht lustig. Wir machen uns über staatstragende Diener lustig, die so moralisch sind, dass sie beispielsweise nicht mitessen wollen, obwohl sie Hunger haben. Wir machen uns über den Staat lustig, so subtil wie Offenbach. Das ist unsere Aufgabe. Man kann es witzig machen und modern. Zu LI-TAI-PE gehört dieses gewisse Asiatische, und das will ich in keinem Fall schlechtmachen, ich spiele nur damit.

das bringt mich zu meiner letzten fragen: darf man sich im Theater auch mal nur amüsieren?

AA: Unbedingt! Manchmal tun die Leute so, als würden sie große Fragen stellen und beantworten sie dann gar nicht. Aber man verreist in eine andere Welt. Diese Chance hat man im Theater oder im Kino: zu verreisen, ohne zu verreisen. Und das ist durch die Bühne und durch die Kostüme auf jeden Fall gegeben.

 

 

 

 

Das Interview führte Maximilian Hülshof

 

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Fotos: Thilo Beu