Ein Treffen großer Künstler
"So wie er selber, wühlend in Phantasien, die Melodie heraufbeschwor, so beschwören seine Werke ihn herauf (...) Es ist ein unbedingt Wirksames, das da auf uns eindringt, eine heldenhafte Gegenwart, ein Etwas, eine heroische Materie, aus der auch nicht unbedingt ein Musiker hätte werden müssen."
Mit diesen Worten gedachte vor einhundert Jahren der Wiener Dichter Hugo von Hofmannsthal des Komponisten Ludwig van Beethoven zu seinem 150. Geburtstag. Ein Jahrhundert später feiern wir wieder den Geburtstag des Bonner Komponisten. Im Februar 2020 wird mit EIN BRIEF / CHRISTUS AM ÖLBERGE ein Musiktheaterabend zur Uraufführung kommen, der den Laudator Hofmannsthal und den gefeierten Beethoven an einem Abend zusammenbringt. Der Komponist Manfred Trojahn (*1949) stellt Beethovens Oratorium eine Neukomposition gegenüber, die inspiriert ist von Hofmannsthals Chandos-Brief, jener Sprachkritik, die bis heute große Berühmtheit im literarischen Diskurs hat.
Der Künstler als Heiland?
Vielleicht ist es eine Hybris des Künstlers, sich in dem Leiden Jesus Christus zu spiegeln. Aber eben in der Fähigkeit, die Welt durch den unbedingten Willen und durch das eigene Opfer zu verändern, besteht das Vorbild Jesus. Der Vergleich des Künstlers mit dem Urbild des Revolutionärs inspirierte Manfred Trojahn dazu, Hofmannsthals Brief als Textvorlage zu wählen. So entsteht ein Musiktheaterabend, der große Persönlichkeiten und Ideen aufeinandertreffen lässt. Der fiktive Chandos-Brief ist auf 1603 datiert und an den englischen Philosophen Francis Bacon gerichtet. Hofmannsthals Alter Ego, der junge Lord Philipp Chandos schildert darin, weshalb er in Zukunft auf jegliche literarische Betätigung verzichten wird.
Präzise und hochliterarisch reflektiert EIN BRIEF die allgemeine Stimmung der Kulturkrise um die Jahrhundertwende und zugleich Hofmannsthals persönliche Schreib- und Sprachblockade. Bild- und sprachmächtig wird hier das Scheitern der Suche nach einem unmittelbaren und allumfassenden sprachlichen Ausdruck beschrieben. „Eine reflexive Szene“ nennt Manfred Trojahn seine Musiktheateradaption für B Orchester und schafft ein Werk von großer Transparenz und suggestiver Kraft.
Der Heiland als Mensch?
Wiederum knapp hundert Jahre vor Hofmannsthals EIN BRIEF kam am Jahres war der 32-Jährige zum Hauskomponisten des Theater an der Wien ernannt worden und schrieb damit seine erste Vokalkomposition nach Frühwerken aus der Bonner Zeit. Die Handlung ist ganz auf die Figur Jesu vor seiner Verhaftung im Garten Gethsemane konzentriert. Zerrissen zwischen Angst und Opferbereitschaft ist er im Zwiegespräch mit seinem Vater und hält seine kampfbereiten Jünger mit der Friedensbotschaft zurück: „Du sollst nicht Rache üben! Ich lehre euch bloß allein, die Menschen alle lieben, dem Feinde gern verzeihen.“ In mitreißenden Arien und Chören wird hier der Blick auf den Menschen Jesu gelenkt, im Zwiespalt zwischen Verpflichtung und persönlichem Empfinden. Beethovens dramatische gesundheitliche Situation und Suizidgedanken, die er nur wenige Monate zuvor im „Heiligenstädter Testament“ niedergeschrieben hatte, sind allgegenwärtig spürbar.
Tanz und Musik als neue Sprache?
Die berühmte Choreografin und Pionierin des Tanztheaters Reinhild Hoffmann wird die Begegnung dieser Komponisten und Literaten auf der Bühne des Opernhauses Bonn inszenieren und choreografieren. Zehn Tänzerinnen und Tänzer des Folkwang Tanzstudio werden gemeinsam mit dem Bariton Holger Falk und den Sängerinnen und Sängern Kai Kluge, Ilse Eerens und Seokhoon Moon dem Opern- und Extrachor und dem Beethoven Orchester Bonn unter der Leitung von Dirk Kaftan die beiden Werke EIN BRIEF / CHRISTUS AM ÖLBERGE zur Aufführung bringen. Die existentiellen Fragen nach der Sprache und der eigenen Lebensaufgabe werden mit den Mitteln des Körpers, der Stimme und der Musik bearbeitet, um selbst zu einem sprechenden und sinnlichen Kunstwerk zu werden.
von Thomas Fiedler