Reisen mit der ZEITMASCHINE und andere Theaterabenteuer
Die partizipativen und inklusiven Theaterprojekte im Schauspielhaus
Stimmen und Gelächter dringen aus allen Gängen und Fluren des Schauspielhauses. Und auch rund um dieses herum – am Bühneneingang und im Hof – begegnet man ungewohnt vielen jungen Menschen in Probenkostümen. Sie haben ein Eis in der einen Hand, ein Textbuch in der anderen. Wenn es so aussieht, ist es meistens die Zeit des partizipativen Projektes am Theater Bonn.
Dann ist es immer ein bisschen bunter, lustiger und weniger planbar als sonst im Haus. Die Proben fordern die geballte Professionalität der vielen verschiedenen Gewerke heraus – dieses Mal sind es 21 junge Menschen aus Bonn und Umgebung, die teilnehmen. 21 Kostüme auf der Kleiderstange, 21 Schminkzeiten in der Theatermaske, 21 Menschen, die wissen wollen, wann sie von wo auftreten und welchen Text sie wie sprechen werden. Überwiegend sind es ihre eigenen Texte und Ideen, die nach einer Workshop-Phase in den Endproben zu einer Inszenierung zusammengefügt werden, die dann bis zum Sommer auf dem Spielplan des Schauspielhauses steht.
Proben fordern die geballte Professionalität aller
21 Menschen im Alter von sieben bis 25 Jahren haben sich mit dem Roman DIE ZEITMASCHINE von H. G. Wells beschäftigt und ihn aus ihrer ganz eigenen Perspektive betrachtet und bearbeitet. Wohin würde ich gerne reisen, wenn es denn möglich wäre? Trotz eines rasanten Fortschrittes auf vielen Ebenen ist Zeitreisen noch nicht möglich, dabei sei die vierte Dimension, die Zeit, doch die allerwichtigste, erklärt uns die zehnjährige Louise. Doch werde sie bei allen Berechnungen und Forschungen außer Acht gelassen. Und wenn es denn doch eines Tages funktionieren würde? »Chaos« – da sind sich alle 21 einig. Der 16-jährige Laszlo entwirft eben mal ein neues Regelwerk, das dann greifen müsse, wenn es so weit käme. Sonst ginge es doch wieder nur um Profit.
Das Casting ist die erste große Hürde
All diese und noch mehr Gedanken sammeln – nun schon in der vierten gemeinsamen Produktion – Regisseur Dominic Friedel und Theaterpädagogin Susanne Röskens in vielen Workshops, denen ein Casting vorausgeht. Das Casting sei die erste große Hürde, finden beide, denn die Auswahl der Spielerinnen und Spieler sei ziemlich schwierig. Am Ende ginge es nicht um einzelne Talente, sondern um eine heterogene und stimmige Gruppe, die viel zu sagen hat – »einander, uns und dem Publikum«
In den Workshops wird geschrieben, gespielt, gesucht, gefunden und ausprobiert. Aha-Momente gibt es genauso viele wie Fragezeichen. Die Auswahl der Texte und Szenen ist dann die zweite große Hürde, doch mit der Zeit fügen sich die Stränge zusammen.
Das richtige Setting dafür bietet zum wiederholten Mal Bühnenbildner Julian Marbach, der im Gegensatz zu anderen Produktionen schon ziemlich früh in der Probenphase mit im Boot ist und sogar bei der Stückauswahl mitüberlegt. Ist die Entscheidung dann gefallen, gelte es, den Spielraum bei so vielen jungen Menschen optisch weniger »starr« zu bauen, um flexible Spielformen zuzulassen, die in den Workshops entstehen. Dennoch brauche es auch optisch starke Bilder, um den oftmals noch sehr jungen Menschen Halt und Rahmung zu bieten.
Mit den jungen Menschen auf Augenhöhe
Wenn dann die professionellen Schauspielerinnen und Schauspieler des Bonner Ensembles in den Probenprozess dazukommen, ist schon viel interessantes Text- und Spielmaterial entstanden, das diese ganz schön staunen lässt. Auch Schauspieler Christian Czeremnych ist schon zum vierten Mal dabei und nimmt die jungen Menschen auf Augenhöhe mit in die Welt des Theaters, die für ihn Alltag ist. Er und auch Schauspieler Sören Wunderlich zeigen ihnen, wie sie sich aufwärmen, mit zu hellem Scheinwerferlicht umgehen oder lange Textpassagen auswendig lernen.
Mit großer Professionalität bringen sie die Gedanken der Jugendlichen gemeinsam mit ihnen auf die Bühne und werden mit Aufgaben konfrontiert, die ihnen vielleicht in ihrem bisherigen Schauspieler-Leben eher selten begegnet sind – da heißt es schon mal, mit fliegenden oder gar unsichtbar gedachten Personen szenisch umzugehen. Alle Ensemblespielerinnen und -spieler, die über die Jahre dabei waren, sind mit den jungen Menschen zu einem großartigen Team zusammengewachsen, das nach intensiven Endprobenphasen immer einen besonderen Premierenabend erlebt.
So voll ist es selten auf der Foyerbühne, wenn Dank und Glückwünsche an alle verteilt werden, und die Musikauswahl bei der sich anschließenden Party ist selten so vielfältig. Nach der Premiere sind es dann vor allem die Vorstellungen, die den jungen Menschen einen realen Einblick in die Routinen eines Theaters geben. Wie fühlt es sich an, an mehreren Abenden das gleiche Stück zu spielen, das aber nie wirklich gleich ist? Maskenzeit, Warm-Up und dann raus auf die Bühne vor ein immer wieder anderes Publikum. Wenn man als Team durch Proben und Vorstellungen geht und gemeinsam künstlerisch arbeitet, ist ein gegenseitiger Umgang mit Respekt und Rücksichtnahme eine Selbstverständlichkeit. Ohne soziale Kompetenz funktioniert ein solches Projekt nicht.
so viele Gedanken & Sichtweisen, Kreativität & Teamwork, Neugierde & Mut
Und auch diejenigen, die eine Ausbildung machen oder studieren, kommen doch wieder gerne ans Theater – meistens hinten durch den Bühneneingang, um uns allen Hallo zu sagen. Die Wiedersehensfreude ist immer groß. Oftmals sind es auch Eltern, die vorbeikommen und ebenso willkommen sind, wie ihre Kinder. Als sich Dominic, Susanne, Julian und Christian 2019 mit JUGEND OHNE GOTT zum ersten Mal auf den Weg machten, haben sie sich zwar eine solche Nachhaltigkeit gewünscht, aber nun, nach vier Produktionen zu merken, dass die entstandene Verbindung über alle Generationen hinweg ein so starkes Band ist, ist ein wirklich schönes Gefühl.
Alle Erfahrungen, die in den Monaten auf den Probebühnen und schließlich auf, unter und hinter der großen Bühne im Schauspielhaus gemacht werden, nimmt ihnen niemand mehr. So viele Gedanken und Sichtweisen, so viel Kreativität und Teamwork, so viel Neugierde und Mut – jedes Mal schauen alle Beteiligten auf eine gemeinsame Arbeit und Erlebnisse zurück, die noch lange nachwirken. Nicht selten beteiligen sich die Jugendlichen danach im ganzjährig laufenden Jugendclub, nehmen an weiteren Schauspielprojekten teil, absolvieren Praktika am Haus und manche ergreifen Berufe wie Schauspielerin und Schauspieler oder Kostümbildnerin und Kostümbildner.
In der Corona-Zeit konnte die Produktion UNTERM RAD ausschließlich online erarbeitet werden. Die Enttäuschung, nicht analog vor Publikum spielen zu können, war anfangs groß, doch der Zauber, den diese Art von partizipativen Produktionen hat, schaffte es bis in die Zoom-Kästchen. Es ist ein innovatives Format entstanden, das das Publikum begeisterte. An mehreren Abenden wurde live von zu Hause aus gespielt. Freundschaften, Zusammenhalt und Spaß entstanden über die Monitore hinweg und bei den gemeinsamen Dreharbeiten draußen in den Siegauen war alles fast so wie sonst auf der Bühne.
DER SCHIMMELREITER durfte dann wieder vor das im Schauspielhaus anwesende Publikum treten und berücksichtigte erstmals neben der Partizipation von jungen Menschen auch explizit die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen. Diese brachten nochmals frischen Wind in die Arbeitsweise des bewährten Produktionsteams. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind wieder bei DER ZEITMASCHINE dabei, andere sind neu hinzugekommen, und alle freuen sich auf die Premiere am 06.04.2024 im Schauspielhaus.
Theaterpädagogin Susanne Röskens, Regisseur Dominic Friedel und Bühnenbildner Julian Marbach beschrieben der Dramaturgin Carmen Wolfram ihre Erfahrungen mit partizipativer und inklusiver Projektarbeit am Theater Bonn.