Jan Neumann inszeniert

DIE KINDER

   

 

Komödie des Untergangs

Nach Inszenierungen im Schauspielhaus wie KLEINER MANN – WAS NUN? und DER STURM in den letzten Spielzeiten hast du zum ersten Mal Premiere in der Werkstatt mit dem Stück der jungen britischen Autorin Lucy Kirkwood: DIE KINDER.
Worum geht es in diesem Theatertext?

Jan Neumann:
Ein älteres Ehepaar hat sich am Rand einer Sperrzone provisorisch in einem Wochenendhaus am Meer eingerichtet, nach einer Katastrophe, die sich in dem nahe gelegenen Kernkraftwerk ereignet hat, in dem die beiden nicht nur als Ingenieurinnen und Ingenieure gearbeitet, sondern das sie sogar einst mit konstruiert und gebaut haben. Das Stück beginnt damit, dass eine ehemalige Kollegin der beiden auftaucht, von der es hieß, sie sei längst verstorben. Dass sie vor langer Zeit ein Verhältnis mit dem Ehemann hatte, wird schnell offensichtlich. Ihre Mission aber, mit der sie das Paar konfrontiert, die hat es in sich...
Im Zentrum steht die Frage, welche Verantwortung übernehmen wir für die Folgen unserer Entscheidungen und Handlungen, auf privat-individueller wie auch gesellschaftlich-politischer Ebene: Was »schulde« ich als Jetzt-Lebender nachfolgenden Generationen?
Wie weit bin ich bereit, mich einzuschränken, oder – radikaler formuliert – sogar meine Existenz aufzugeben, um die Existenz unserer Kinder zu sichern?

 

Szenenfoto DIE KINDER

Was reizt, was interessiert dich an diesem Stoff?

Jan Neumann:
Das Stück bezieht seine Spannung aus einer sich nach und nach enthüllenden Vorgeschichte und immer wieder überraschenden Wendungen. Es trägt einen politischen Glutkern in sich und hat doch durchweg den heiteren Ton einer Komödie. Diese Mischung finde ich bemerkenswert. Menschen sind ja grundsätzlich komisch, das wird nicht unbedingt besser, wenn sie versuchen, unangenehmen Wahrheiten auszuweichen oder die Realität zu leugnen. Die Verrenkungen, die dabei gemacht werden, sind grotesk. Auf der Bühne wie in der Wirklichkeit. Das Stück ist eine Komödie des Untergangs.

Szenenfoto DIE KINDER

Die Autorin Lucy Kirkwood sagt über ihr Stück in einem New York-Times-Interview:

Lucy Kirkwood:
Ich habe lange versucht, einen Weg zu finden, über den Klimawandel zu schreiben. Und ich wollte, dass es eher von Emotionen als von Intellekt angetrieben wird. Dann passierten die Ereignisse von Fukushima, die schreckliche Katastrophe dort. Es gab eine pensionierte Belegschaft, die sich freiwillig bereit erklärte, dorthin zurückzukehren, um die Anlage dort aufzuräumen. […] Ich finde die Vorstellung, dass Großbritannien das tun könnte, völlig undenkbar. Womit wir irgendwie kämpfen, ist Individualismus, weil man mit vielen Dingen, mit denen wir uns in den nächsten 50 bis 100 Jahren beschäftigen müssen, einfach nicht umgehen kann, wenn man sich selbst als Individuum betrachtet – wenn Länder sich nur als Länder betrachten. Es werden globale Probleme sein.

Würdest du ihr darin zustimmen, dass der Individualismus westeuropäischer Prägung eines der heutigen Weltprobleme ist?

Jan Neumann:
Es gibt wohl Untersuchungen, dass im Gegensatz zu früher die Menschen heute nicht mehr oder zumindest nicht mehr in demselben Maß ihre Entscheidungen danach ausrichten, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehe als ihnen selbst. Diesem »früher war das besser« misstraue ich zwar, aber ich finde die Vorstellung nachvollziehbar, dass sich da etwas verschoben hat. Je wichtiger sich jeder und jede nimmt, desto unmöglicher wird es, sich als nur kleiner Teil einer großen Gemeinschaft zu denken – als letztendlich unwichtig angesichts des großen Ganzen. Die Frage ist, ob Individualismus immer gleich Egoismus heißen muss, ob bei aller Abgrenzung zum Anderen nicht trotzdem die Anerkennung des Anderen bestehen kann.

Geigenzähler als Generationsthematik

Wie gehst du mit der Generationenthematik um, die diesem Stoff ja innewohnt?

Gibt es den Generaktionskonflikt auch in der Zusammenarbeit mit einem sehr erfahrenen Spielensemble?

Jan Neumann:
Kinder treten in diesem Stück nicht auf, man erfährt nur, dass die älteste Tochter ein etwas unselbstständiger, wütender Mensch zu sein scheint. Gleichzeitig sind sie präsent durch den Titel und die grundsätzlichen Fragen, die sich die Figuren stellen. Ähnlich der atomaren Strahlung nach der Katastrophe, die zwar da ist, aber mit keinem Sinn erfahrbar. Erst im Erzählen der Geschichte zeigt sich der Generationenkonflikt – das Erzählen also, um im Bild zu bleiben, als Geigerzähler, der das unsichtbare Eigentliche hör- und sichtbar macht.

Szenenfoto DIE KINDER

Ich bin ein paar Jahre jünger als Wilhelm Eilers, Ursula Grossenbacher und Birte Schrein, aber definitiv zu wenig, um mich zu einer anderen Generation zu zählen. Die Generationengrenzen sind sowieso diffus, die Übergänge fließend.

well-made-play mit Thriller-Elementen

Szenenfoto DIE KINDER

Das Stück erscheint in den ersten Minuten wie eine englische Gesellschaftskomödie: zwei Frauen, ein Mann, die gemeinsame Vergangenheit. Der Text bedient durchaus die Konventionen eines well-made-play (eines gut gebauten Theaterstücks) und spielt beispielsweise auch mit Thriller-Elementen. Was sind die Herausforderungen an dich als Regisseur auf formaler und inhaltlicher Ebene?

Jan Neumann:
Lucy Kirkwood lässt ihre Figuren sich ins Sprechen fliehen. Sie produzieren permanent Sprache, um nichts wirklich zur Sprache bringen oder zum Wesentlichen vordringen zu müssen. Kommunikation besteht ja nicht nur aus dem Gesagten, sondern vor allem auch dem Ungesagten. Die Figuren unterbrechen sich im Sprechen auch dauernd. Dieses Nicht-Gesagte aus dem Text herauszuarbeiten, empfinde ich als die große Herausforderung, neben der Suche nach einer Form, die das Well-Made-Prinzip bedient und es gleichzeitig aber auch unterläuft, damit diese Form überhaupt als Form lesbar wird.

 

Das Meer ins Theater holen

Nochmals die Frage nach den Herausforderungen: Du arbeitest zum ersten Mal auf der Werkstattbühne, welche gibt es dort?

Jan Neumann:
Laut Regieanweisung findet die Handlung in einem Wochenendhaus am Meer statt, das aber in Schräglage steht, sozusagen das Bild einer Welt, die aus dem Lot ist. Die Bühnenbildnerin Dorothee Curio hat sich für ein Meer entschieden, mit schäumenden Wellen und Sonnenuntergang darüber. Wenn es also um die Herausforderungen der Werkstattbühne geht, würde ich sagen, die Herausforderung ist die, die wir gewissermaßen mit jeder Theaterinszenierung in jedem Theaterraum haben: Nämlich die, das Meer ins Theater zu holen.

Das Interview führte Carmen Wolfram.

 

DIE KINDER ab 19. Januar 2024 auf der Werkstattbühne des Theater Bonn.

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