Zur Neuinszenierung von DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL

Liebe, Treue und Befreiung auf den Brettern eines »neuen Theaters«

Keine Scheu, treten Sie näher. Sie haben noch nichts über das Pariser Jahrmarktstheater gehört, eine der einflussreichen Quellen des »teutschen Singspiels«? Einer der Höhepunkte auf den Bühnenbrettern der DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL (»Carne vale« auch im September) ist der Auftritt der Janitscharen. Es erklingt ein »Türckischer Zapfenstreich«, hundert Jahre nach der Belagerung Wiens durch die Türken. Wussten Sie, dass die Janitscharen teilweise aus geraubten Christenkindern rekrutiert wurden? Mozart treibt die türkische Musik an den Schlüsselstellen gehörig zum Musizieren an: »Je mehr lärmen, Je besser; – Je kürzer, Je besser.« Ein Plädoyer für die Bonner Aufführung: Alles, was man hört und sieht, verkörpert ein szenisches Element – Theater von unten, Grenzen sprengend zwischen hohen und niederen Sphären, zwischen äußerer und innerer Handlung zum Thema Befreiung. Ein Hoch auf Mozarts Mut zur Theater-Anarchie!

 

Ein Bonner Plädoyer für die Herrschaft der »Musick«

Über keine andere Oper Mozarts sind wir durch Eilpost von Wien nach Salzburg so detailliert über den work in progress eines Stückes informiert. Da Leopold Mozart rasch durchschaut, wie waghalsig sich sein Sohn in eine unsichere Zukunft stürzt, bildet die Diskussion über die Idee des neuen Werkes als Theaterpraxis pur den versöhnenden Kitt im Generationenkonflikt. Großartig, wie Mozart stets als erstes an seine Sängerinnen und Sänger denkt. So wird Osmin, Aufseher im Serail (kein Harem, sondern ein Regierungsgebäude!) zu einem Sympathieträger – der Protagonist der anderen, der muslimischen Seite. Dabei überschreitet er doch laut Mozart in seinem nicht zuletzt gegen die ausbeuterischen Europäer gerichteten Zorn »alle Ordnung, Maas und Ziel!«. Daher gilt: »da darf auch in der schaudervollsten Lage die Musick das Ohr niemalen beleidigen, sondern muß doch dabey vergnügen machen«. Ob Mozart brillante Arien, beste Opera seria, für »geläufige Gurgeln“ schreibt, ob er laut musikalischem EKG anzeigt, »wie die schwellende Brust sich hebt« oder ob er die ganze Struktur umstürzt, damit man endlich zur Sache kommt: Treu oder untreu? Stets verfährt er nach dem Kategorischen Imperativ: »Weil da ganz die Musick herrscht!« – Wenn das kein Plädoyer für spannendes und unter die Haut gehendes Musik-Theater ist!

 

Von Wolfgang Amadeus Mozart in Auftrag gegebene und im Original verloren gegangene »Scheibe zum Bölzlschießen«
Rekonstruktion von Ingrid Ramsauer für das Mozarteum Salzburg | Bild: P. Saner

Ein Bonner Plädoyer für Geschichten, Geschichten, Geschichten…

Ausgangspunkt der Handlung ist Spanien, Mitte des 16. Jahrhunderts. Der Vater von Belmonte ist Kommandeur in Oran, einer Küstenstadt im Westen von Algerien, kein Ranghöchster, aber adlig. So auch der Sohn. Im gesamten Mittelmeer tobt damals die Piraterie im Bunde mit den Osmanen gegen die strategische Vorherrschaft der Spanier. Da ist man mittendrin in atemberaubenden Vor- und Hintergrund-Geschichten, um die Brutalität eines Kultur- und Glaubenskrieges zu begreifen, vor allem die Arroganz der Christenmenschen mit ihrem Blick auf die Türken als unzivilisierte Barbaren: Blutbad und Gemetzel der spanischen Konquistadoren an den Naturvölkern oder des ehrenwerten Martin Luthers Heerpredigt: »Der Türke ist Gottes Rute und der ärgste Zorn des Teufels gegen Christum.« Wenn dann noch der große Aufklärer Jean-Jacques Rousseau ins Spiel kommt, um Frauen zu empfehlen, sich die »Puppe als das besondere Spielzeug des unterwürfigen weiblichen Geschlechts als Vorbild zu nehmen«. Alles dies ist – dann schon fast am Ende – angesiedelt um die Geschichte im Duett von Konstanze und Belmonte: »Was ist der Tod? Ein Übergang zur Ruh!« Einundzwanzig Musiknummern als uns mehr denn je betreffende und angehende Geschichten, vor allem auch um eine unverzichtbare Toleranz, wenn es, wie erwähnt, um Befreiung geht: um die äußere im Gesellschaftskonflikt und um die innere in der Auseinandersetzung mit Liebe und Treue. Braucht es da noch ein Plädoyer zum Theaterbesuch? Ach ja, Mozart ruft Bonn zu: »Und ich glaube man wird dabey nicht schlafen können, und sollte man eine ganze Nacht durch nichts geschlafen haben.«

Text von Wolfgang Willaschek

 

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