Der Nackte Wahnsinn
Worum geht es in DER NACKTEN WAHNSINN?
Sascha Hawemann: Das ist ein Stück über Theater und Theatermacher. Es beginnt mit der Generalprobe für ein neues Theaterstück, mit dem eine Theatertruppe ab morgen eigentlich auf Tournee gehen möchte. Es geht wirklich fast alles schief, was auf einer Bühne schiefgehen kann und so kommt die Probe über den ersten Akt des Werkes nicht hinaus. Sie endet in hoffnungslosem Chaos und einer tiefen Sinnkrise aller Beteiligten. Diesen Stückbeginn erleben wir in Michael Frayns berühmter Komödie immer wieder; im nächsten Bild nur aus anderer Perspektive – von hinter den Kulissen während der 29. Aufführung. Auch da funktioniert nichts wie geplant, nichts läuft so, wie es soll. Das ist ziemlich lustig. Wirklich der nackte Wahnsinn.
Du hast vor kurzem in Potsdam deine Version von Klaus Manns Roman MEPHISTO auf die Bühne gebracht also wieder ein Stück, in dem die Welt des Theaters im Zentrum steht. Beide Texte reflektieren das Medium auf sehr unterschiedlichen Feldern Ebenen. Was interessiert dich an diesem Thema?
SH: Mich interessiert die Auseinandersetzung darüber, welche Aufgabe das Theater, unsere Arbeit überhaupt noch hat, welche gesellschaftliche und moralische Verantwortung Künstler tragen, dass sie sich dessen bewusst werden, nicht in selbstreferenziellen Narzissmus verfallen oder in marginalen Themen sich den großen Konflikten der Zeit entziehen. In einer geopolitischen Großkrise, einem möglichen Weltenbrand, einer klimatisch zutiefst gefährdeten Welt sind nicht alle geführten Diskurse dieselben, die die Zuschauer wirklich interessieren. Bedeuten die Bretter wirklich die Welt, oder ist das Tun simulierte Haltung, neoliberaler Karrierismus und Eitelkeit. Andererseits interessiert mich der Zauber des Theaters, die Magie, die Theater haben kann, die Schönheit des Theaters, für die man vieles in Kauf nimmt oder auch wie Faust sich Mephisto mit Haut und Haar verkauft. Vielleicht ist das gespielte Leben auf der Bühne das intensivere, das emotionalere, das Heraustreten aus dem maßvollen, regulierten Lebensweg.
Kannst du vielleicht Gemeinsamkeiten benennen und wo liegen die Unterschiede der beiden Stoffe?
SH: Die größte Gemeinsamkeit ist, dass der Roman und das Stück über das Theater, Theatermacher und Theatermachen ist, also über Künstler und ihre Kunst, ihr Kunstschaffen. Der größte Unterschied ist sicher, dass MEPHISTO ein großer politischer Roman ist, der die Frage stellt, nach der politischen Verantwortung von Künstlern in einer Diktatur, während sich im NACKTEN WAHNSINN die Schauspielerinnen und Schauspieler nicht die Bohne für Politik oder Weltgeschehen interessieren. Gustaf Gründgens hatte mal gesagt, Theater müsse eine Insel sein, unabhängig von Politik und Weltgeschehen, sein Wunsch hat sich sozusagen in die Schauspieltruppe des NACKTEN WAHNSINNS als nackte Tatsache hineingebrannt.
Im NACKTEN WAHNSINN spielt die Figur eines Regisseurs eine wichtige Rolle. Du kommst selbst aus einer Theaterfamilie; dein Vater und deine Mutter waren Regisseure – manches kommt dir da sicher sehr bekannt vor. Hilft oder hindert das eher beim Regieführen?
SH: Also die Ängste, die man hat, den Stress vor Premieren, die Unbedingtheit, ein Bild sehen zu wollen, die Hingabe an ein Projekt, die starken Zweifel und Liebe zum Theater, auch; das Ausblenden des wirklichen Lebens, also wenn Bühne mehr Leben bedeutet… die Wunden, die ja, das kenn ich; aber der Regisseur des Stückes besteht eher aus andere Zutaten: Zynismus, Eitelkeit, Machogehabe, Besserwisserei und so patriarchale Eitelkeiten. Vor allem den Umgang mit Menschen des Regisseurs Lloyd, seine toxische Machtausübung lehne ich absolut ab und versuche seit Jahrzehnten, eine angstfreie, lustvolle und verspielte Probensituation zu schaffen. Die autoritäre und von Eitelkeit strotzende Machtausübung von Regisseurinnen oder Regisseuren zu zeigen, finde ich sehr wichtig, denn ich glaube nicht, dass das Publikum weiß, was die Schauspielerinnen und Schauspieler alles erleben und durchleiden bis sie dann vor anderen Menschen spielen. Als Rollenvorbild eigne ich mich vielleicht eher nicht, aber wenn Daniel (Daniel Stock, der Darsteller) was Lustiges findet, soll er es benutzen, ich stell mich gern als Material zur Verfügung. Ich hatte das Glück, dass ich kein richtiges Theaterkind war, Theater blieb im Theater, Probenauswertungen, Textanalysen, konzeptionelle Überlegungen, Ängste und Frustrationen, schwere emotionale Momente, Besetzungsfragen gabs nicht zum Frühstück oder beim gemeinsamen »Dick und Doof« gucken. Aber wie im Stück ist die Grenze zwischen Bühnenleben und Lebenleben unscharf; wenn Olli Stan wieder einmal ins Auge piekte oder Hans Moser etwas nuschelte, notierte sich mein Vater etwas oder lachte oft nicht mit. Meine Mutter war anders, sie lebte Kunst immer und überall, dauerrauchend in Dutzenden Büchern sitzend. Wie sie geprobt haben, habe ich nie gesehen, leider. Aber ich wusste, dass mein Vater ein poetischer verspielter Schauspielerregisseur und meine Mutter eine streng konzeptionelle Regietheaterregisseurin waren. Ich finde, über Regisseure darf man lachen…das ist mir im Stück wichtig, trotz der toxischen Eigenschaften des Regisseurs.
Du hast in der Konzeptionsprobe formuliert, das Stück sei für dich mehr eine Slapstickfarce als eine Boulevardkomödie. Kannst du das näher erläutern?
SH: Die Boulevardkomödie ist meist eine Mittelstandskomödie, basiert auf Wortwitz, pointierten Sätzen, einem gutgeölten Handlungsablauf, dezentem, pastellfarbigen Humor. In der Slapstickfarce, ein sehr britisches Genre, ist der Körper das große Instrument des Humors, er ist der anarchistische Flummi, der zwischen Türen und Wänden in ordentlichem Spießerleben das große Chaos stiftet.
Man hat bei vielen Figuren im Stück das Gefühl, dass sie häufig auf dem schmalen Grat zwischen Hoffnung und Verzweiflung balancieren. Besteht darin die Kunst dieser Komödie? Wie würdest du sie beschreiben?
SH: Eigentlich ist das Stück tragikkomische Slapstickfarce eher auf den Spuren von Chaplin und Buster Keaton, als von Otto oder Didi Hallervorden. Aber würde man es so inszenieren, dass die Figuren tiefenpsychologisch unter beruflicher Überforderung, Stress, Angst, Eitelkeit, Gier, Neid oder Sexsucht leiden, also mit nicht unbedingt komischen Motiven ihr Bühnenleben lebten, wäre das Stück eher ein dünnes Melodram; aber mit denselben Motiven und einer ausgesprochenen charakterlichen Oberflächlichkeit werden die Figuren fast schon realistischer und komischer. Die Angst vor der Steuerfahndung und die Lust auf Sex als Königsdrama zu haben, finde ich mit Blick auf heutige Politiker und eine geldgeile Upperclass bösartig amüsant.
DER NACKTE WAHNSINN zeigt das Chaos einer Theaterprobe, später einer Theateraufführung, ist aber in seiner eigenen Dramaturgie (und das ist das absurde daran) alles andere als chaotisch, sondern der Handlungsablauf des Stückes erschafft selbst eine gnadenlose Theatermaschine, die man fast uneingeschränkt bedienen muss, damit der Witz funktioniert – Stichwort: TÜR auf/Tür zu. Schränkt diese präzise minutiöse Mechanik den Spielraum nicht ein? Was reizt dich daran? Und macht das einen Unterschied zu deinen sonstigen Proben?
SH: Die Freiheit in der Unfreiheit interessiert mich am meisten. Ich bin in der DDR aufgewachsen und dort war es überlebenswichtig, seine Freiräume zu finden, ohne dass es dem Staat auffällt, also der subversive, subtextuelle Moment der Freiheitsschaffung in einem Ordnungssystem. Wo hockt der Springteufel im abgezirkelten Spießerraum und springt einem ins Gesicht. Außerdem hat das Stück viel mit Zirkus zu tun, Nummern üben bis sie toll sind und die Zuschauer begeistern…und ich finde Theater sollte mehr mit Zirkus zu tun haben: tolle Nummern, Magie, treibende Musik, Clowns und das Spiel als bewundernswerte Artistik. Schauspielerinnen und Schauspieler wachen nicht mit gelernten Texten und traumgeschenkten Figuren auf, das ist harte Arbeit, wie die Nummer eines Artisten. Das Akrobatische zeigend, zeigt man vielleicht Mühen und Können der Spielenden transparenter.
Das Interview führte Carmen Wolfram.