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»Wie lang willste denn bleiben?« »Unendlich lange.«

© Markus Bachmann

Isas Roadtrip zu Fuß in Wolfgang Herrndorfs BILDER DEINER GROSSEN LIEBE

 

Erträumtes, Erlebtes und mittendrin Isa, die barfüßig durch das Land stapft. »Unendlich lange« bleibt sie nie. Sie ist 14 und sehr viel mehr als das. Mutig, stark und entschlossen bewegt sie sich zwischen Schwere und Leichtigkeit, Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fantasie sowie zwischen Tod und Leben. Isa hat ihr eigenes Denken. Mit einer bedingungslosen Intensität begegnet sie auf ihrer Reise Situationen, Orten, Menschen und sich selbst.

Inszeniert wird das Stück für alle Generationen ab 14 Jahren auf der Werkstattbühne. Die Regisseurin Laura Ollech gib mit dieser Arbeit ihr Debüt.

Seit dem Entschluss, BILDER DEINER GROSSEN LIEBE zu inszenieren, ist nun fast ein Jahr vergangen. Weißt Du noch, was Deine ersten Gedanken und Visionen zu Deiner ersten eigenen Inszenierung waren? Welche haben sich über die Zeit hinweg verändert, welche sind geblieben?

Laura Ollech: Das Projekt hat mich von Anfang an gepackt. Isa auf dieser Reise begleiten zu können, persönlichen Resonanzräumen nachzuspüren und sie mit uns in den Dialog treten zu lassen, war und ist ein Geschenk. Eine besondere Herausforderung war von Anfang an, den Aspekt der Reise theatral zu übersetzen. Uns war es wichtig, die Entwicklungen ihrer Umgebung genauso einzufangen, wie ihre persönliche Entwicklung. Das ist geblieben. Die Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels haben sich hingegen verändert.

Zu Beginn haben wir uns gedanklich viel an Naturmaterialien abgearbeitet, mit denen man die Bühne hätte bestücken können. Im Prozess wurde das Bühnenbild dann deutlich abstrakter. Frei nach dem Motto: So konkret wie möglich, so abstrakt wie nötig.

© Markus Bachmann

Wir haben es hier mit einem unvollendeten Roman zu tun, der oftmals in der Tat sehr fragmentarisch wirkt. Zeit und Raum sind an einigen Stellen nicht logisch definierbar. Ebenso ist es mit Isas Gedanken, die sie mit uns teilt: »Im einen Moment denkt man, man hat es. Dann denkt man wieder, man hat es nicht. Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denken will, dreht er sich unendlich im Kreis, und wenn man aus dieser Schleife nicht mehr rauskommt, ist man wieder verrückt. Weil man etwas verstanden hat.« Direkt bei unseren ersten Treffen haben wir gesagt, dass wir alles, ob logisch oder nicht, als gesetzt nehmen, als wahr. Den Ausbruch aus einer Klinik, die Begegnungen, die Gedanken und die daraus resultierenden Handlungen. Was genau bedeutet das für den szenischen Umgang?

LO: Isa zu vertrauen, bedeutet für mich zweierlei. Zum einen ganz konkret, ihr als Figur Menschlichkeit zuzugestehen. Die meisten Menschen haben, im besten Sinne, mehr Chaos als Ordnung im Kopf. Gedanken verlaufen nicht linear, Erkenntnisse sind nicht statisch und die wenigsten Entscheidungen sind irreversibel. Wenn wir Isa diese Dreidimensionalität zugestehen, dann werden ihre Widersprüche zugänglich und ihre Gedankensprünge nachvollziehbar. Zum anderen wird die Objektivität von Realität auf angenehme Art und Weise herausgefordert. Unsere Art mit der Welt in Kontakt zu treten, wird maßgeblich von unserer subjektiven Wahrnehmung beeinflusst. Nur weil unsere persönlichen Gefühle und Gedanken keinen Objektivitätsanspruch erheben können, heißt das nicht, dass es ihnen an Relevanz mangelt. Isa »sein« zu lassen und nicht jede ihrer Regungen automatisch mit einem gesellschaftlichen Normkonzept oder einer vermeintlich objektiven Realität abzugleichen, setzt auch ein Zeichen für ein achtsames Miteinander. Ist alles wahr, was Isa erlebt? Für Isa ist es das. Lassen wir uns gemeinsam darauf ein, vielleicht können wir noch von ihr lernen.

© Markus Bachmann

Welche anderen Werke von Herrndorf helfen Dir bei der Erschließung des vorliegenden Stoffes?

LO: Der viel besprochene fragmentarische Charakter von BILDER DEINER GROSSEN LIEBE eröffnet mannigfaltige Möglichkeitsräume. Auf der Suche nach ergänzendem Material und Inspiration habe ich mich nur zu gerne über den Tellerrand hinausbewegt. TSCHICK und PLÜSCHGEWITTER haben mich von Anfang an begleitet, aber so richtig verloren habe ich mich in ARBEIT UND STRUKTUR. Herrndorf durch seinen Alltag zu begleiten und Isas Entstehung live mitverfolgen zu können, hatte etwas unglaublich Intimes.

Es schwingen sehr viele Themen in diesem Stück mit. Gibt es eines, welches Dich am meisten einnimmt und nachdenken lässt?

LO: Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsliebe, Anfang und Ende, Tod und Leben – hier steckt viel drin, was mich schon lange umtreibt. Inhaltlich beschäftigt mich Isas Reflexion über die Zeit und den Tod sehr. Formal sind es die Verzweiflung und Dringlichkeit, mit der Isa bei Zeiten gegen ihre eigene Ohnmacht anargumentiert, die mir, wie sie sagen würde, »den Stecker ziehen«.

© Markus Bachmann

Es gibt zum einen die Protagonistin Isa und zum anderen mehrere Personen, denen sie auf ihrer Reise begegnet. Inwiefern sind auch diese anderen – meist männlichen – Figuren für Dich Protagonisten? Und in welcher Beziehung stehen sie zueinander?

LO: In unserer Inszenierung spielt Sandrine Zenner Isa, und Daniel Stock übernimmt die Rollen ihrer Begegnungen. Als Publikum wird in Isas Kopfraum eingeladen. Als dortige »Herrscherin« entscheidet sie sich dazu, sich selbst – und damit auch uns – mit verschiedenen Begegnungen zu konfrontieren. Diese Konfrontationen sind ein Nährboden für Wachstum und Entwicklung; die Begegnungen sind also in erster Linie fruchtbare.

Das Interview führte Susanne Röskens.

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