Fremd
Stück von Michel Friedman
Regie von Emel Aydoğdu
Es scheint in einigen Teilen der Gesellschaft eine Art Konsens darüber zu bestehen, dass ›wir Deutschen‹ die Vergangenheit rund um den Nationalsozialismus gut aufgearbeitet haben. Jahr für Jahr wird an ausgewählten Gedenktagen erinnert, demütig Versöhnung beschworen und Stolz auf die eigene Erinnerungskultur bekundet.
Ja, es wurde sehr viel erinnert in den Jahrzehnten seit dem Sieg der Alliierten. Doch gerade die letzten Monaten führen vor Augen, dass in unserem kulturellen Gedächtnis doch so manche Vorurteile, die Jahre überdauert haben und Antisemitismus wie Rassismus strukturell tief in der Gesellschaft verankert sind.
»Geschichte ist immer Familiengeschichte«
So schreibt der Jurist, Publizist und Philosoph Michel Friedman in seiner jüngsten Publikation JUDENHASS und plädiert für eine politische Diskussionskultur innerhalb der Familie.
Friedman geht davon aus, dass in vielen deutschen Familien zu wenig über die Vergangenheit und die damit zusammenhängende Schuld und Verantwortung diskutiert und stattdessen zu oft geschwiegen wurde. Und das seit der Nachkriegszeit. Man kann in der Schule Fakten lernen, aber wie gelingt es, deren Bedeutung wirklich auf sich selbst und die Gegenwart zu beziehen? Geschichte ist immer Familiengeschichte und eben so eine erzählt Friedman in FREMD.
FREMD ist keine klassische Autobiografie, denn Friedman erzählt mehr als nur von dem Schicksal seiner Familie. FREMD ist kein Buch über Antisemitismus. FREMD ist auch ein Buch über Antisemitismus.
Friedman beschreibt ein generelles, universales Gefühl des sich Fremdfühlens von diversen marginalisierten Gruppen, die nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft sind und deswegen Erfahrungen von Ausgrenzung und Ablehnung erfahren müssen. FREMD ist die Geschichte eines einzelnen Kindes, eines Menschen, steht aber exemplarisch für viele andere Schicksale. Genau dafür interessiert sich die Regisseurin Emel Aydoğdu, die sich in ihrer Inszenierung mit Bogens zwischen der individuell-persönlichen Geschichte und den kollektiv-universellen Erfahrungen beschäftigt.
Text von Sarah Tzscheppan.