Das Schicksal als nicht fassbare Macht
Wäre LA FORZA DEL DESTINO in dem Jahr erschienen, in dem es eigentlich geplant war – die Uraufführung musste wegen der Erkrankung der Primadonna verschoben werden – dann wäre es für Giuseppe Verdi vermutlich nur das zweitwichtigste Ereignis dieses Jahres nach der Gründung des Königreich Italiens gewesen. Verdi selbst wurde 1861 durch Graf Cavour, eine der maßgeblichen Figuren der italienischen Einigung, dazu bewogen, Teil des ersten Parlaments des neuen Königreichs zu werden. Verdis Interesse für Weltgeschehen und Politik scheint zweifelsohne in vielen seiner Werke durch. Die darin erkenntlichen Parallelen zu anderen historischen Epochen, freilich auch zur Gegenwart, lassen die ungebrochene Begeisterung für sein Schaffen nachvollziehen – und machen seine Opern zur perfekten Projektionsfläche.
In einer Aufführungsgeschichte, die hunderte Inszenierungen beinhaltet, findet sich auch für FORZA eine große Bandbreite an Regieperspektiven. Von extravagant bis reduziert, akkurat bis grotesk, bunt bis monochrom, hat man auf den Opernbühnen der Welt für dieses Bühnenmeisterwerk schon vieles präsentiert bekommen. Sir David Pountney lässt sich auf die abstrakte und teils diffuse Handlung ein und hält dabei an den universellen Dingen wie Krieg, Tod und Glaube fest. Er gibt dem Stück an den passenden Stellen Freiraum und setzt dabei anderswo deutliche Akzente. Die Kostüme und das Bühnenbild unterstreichen vor allem die Ernsthaftigkeit der Handlung, scheuen sich aber auch nicht, schillernde Arien mit ebenso funkelnden Kleidern zu verbinden. Dabei bringt die Vision des Regisseurs auch den Funken Hoffnung mit, dem sich angesichts der fortwährenden Aktualität des Stückes nie verschlossen werden sollte.
DIE MACHT DES SCHICKSALS handelt von der unerfüllten Liebe zwischen Don Alvaro und Leonora, die aufgrund von Missverständnissen und tragischen Umständen nie glücklich werden kann. Alvaro, der Leonora liebt, tötet versehentlich ihren Vater, was zu einem blutigen Konflikt führt. Leonora flieht, doch das Schicksal holt sie immer wieder ein, und die beiden werden durch Intrigen und Rachegelüste von Leonoras Bruder, Don Carlo, immer weiter auseinandergetrieben.
Das Thema der unvermeidlichen Macht des Schicksals zieht sich durch das gesamte Werk, das von Verdis Musik in dramatische, emotionale Höhen getragen wird.
Pountney selbst versteht sich als EU-Bürger, nahm dafür im Zuge des Ausscheidens des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union die polnische Staatsbürgerschaft an. Der aus Oxford stammende Regisseur zeigt dabei persönlich eine klare Position, die sich aber auf der Bühne nicht in den Vordergrund drängt und von Verdis Kunst ablenkt. Die Vermischung sakraler und faschistoider Bilder in seiner Inszenierung lässt sich dabei natürlich nicht nur auf historische oder gegenwärtige Regime, sondern mit Blick nach Amerika sicherlich auch auf die Zukunft beziehen.
Die Absurdität des »Schicksals«, auf die sich seinerzeit viel Kritik an Verdi und seinem Werk bezog, ist auch gut anderthalb Jahrhunderte später eine bewusst schwer zu greifende Thematik, die in Pountneys Inszenierung aber nie ins Störende abgleitet. Absurd mag auch wirken, wie sehr sich die geopolitischen Verhältnisse in Europa gewandelt haben, seit die Produktion 2018 in Cardiff – die Premiere am Theater Bonn findet auf den Tag genau sieben Jahre später statt – zum ersten Mal aufgeführt wurde.
Verdi vermochte es, die Schwere der Thematik in der Musik so zu verpacken, dass sie das Publikum nicht erdrückt. Auch wenn es sich um eines seiner ernsteren Werke handelt, wird das Komische dabei nicht verdrängt. Immer wieder fordern einzelne Passagen dem Dirigenten das Einfühlungsvermögen ab, von unbeschwerten, komödiantischen Tönen hin zu furiosen Höhepunkten und katastrophalen Momenten zu arbeiten.
Es muss also kein Schicksal sein, dass Sir David Pountney und Dirigent Will Humburg nach LES VÊPRES SICILIENNES und UN BALLO IN MASCHERA ihre Verdi-Trilogie am Opernhaus Bonn nun mit einer bildgewaltigen und musikalisch herausragenden Inszenierung wohlverdient komplettieren. Humburg lässt die Handschrift des Komponisten jederzeit durchschimmern und schafft es, den Sängerinnen und Sängern und dem gewaltigen Chor ein orchestrales Pendant gegenüberzustellen, das sich weder unterordnen muss noch den Fokus vom Wesentlichen weglenkt. Die teils bewusst ins Absurde getriebene Inszenierung kann nur deshalb ihre volle Wirkung entfalten, weil Humburg als ausgewiesener Verdi-Experte die Partitur nicht nur oberflächlich versteht, sondern die Gedankengänge des Komponisten zu durchschauen scheint.
Auch dieses Mal bringt die Symbiose mit dem Beethoven Orchester, das er seit über 10 Jahren als erster ständiger Gastdirigent wiederkehrend leitet, einen beeindruckenden und erfrischenden Klang hervor, der einem schlichtweg Lust auf mehr Verdi macht.
Text von Sven Boxberg.